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Sieben Gesichter, die bleiben

Lina Atfah
Übersetzung: Mustafa Al-Slaiman
Illustration: Moshtari Hilal / Sieben Gesichter (2018)

Julia Trompeter
Ich traue mich nicht, an neuen Orten zu schlafen,
wo mein Kopf auf Alpträume fällt.
Jeder neue Ort ist ein neues Tor zur Einsamkeit.
Aber ich sehe dein blondbraunes Haar:
Es stellt der Sonne eine Falle,
verleiht ihr ihre Farben
und schenkt ihr einen zärtlichen Vorhang.
Du schlägst die Beine übereinander,
schaust auf die Weinberge, die sich zu dir neigen.
Du gleichst den Engeln von Michelangelo,
aber du lachst,
und dein Lächeln verleiht dem Ort seine Vertrautheit.
Ich verriet dir meine Geheimnisse
und verrate dir gerade, wie ich ein Gedicht schreibe,
du Schöne! Du schenkst meinen Träumen den Schlüssel der Weinberge.

Christoph Peters
Der in die Ferne reisende Blick,
weiter als die Weite und größer als das Schauen und Umherschweifen.
Dein Blick erfasst die ganze Geschichte,
entblößt mich,
empfängt meine Traurigkeit, meine Gesänge, meine orientalischen Rhythmen
und die altarabischen Gedichte samt ihren metrischen Strukturen.
Dein Blick empfängt mich, als wäre er meines Auges Kind.
Du erhebst dein Glas – alles halal –,
während du für mich singst
den Blues.

Dorothea Grünzweig
Was bist du für eine Frau!
Du trägst die Reinheit des Wassers aus dem hohen Fels.
Deine Hand zittert und du hältst das Gedicht fest,
als wäre es eine Rosenknospe.
Du schenkst der Welt die Süße deines himmlischen Gebets.
Ich beginne an das Leben zu glauben
und die Freude der Kinder beim Kerzenanzünden zu verstehen.
Da soll die Erde mit den Flügeln schlagen
und sich höher und höher gen Himmel erheben.
Du gabst mir, was ich lange vermisste:
den Glauben.
Ich glaube an dein Herz.

Jan Wagner
Wenn ich deinen Namen rückwärts lese,
wird NAJ in meiner Sprache zur Flöte.
Ein NAJ bist du.
Im Orchester spitzt man die Ohren zuerst für dich,
selbst wenn du ganz leise bist.
Um dich versammeln sich Kinder,
Gänse, Gras und Bäche.
Ich hörte in deiner Stimme das Gedicht,
auch in deinen Fingern und deinem Lächeln,
und in Marittas blauen Augen, die mit jedem deiner Blicke
noch schöner Purpur glänzten.

Joachim Sartorius
Listiger Herr!
Wie leicht ist es, sich in deinen Netzen zu verfangen.
Du kannst uns von allem überzeugen,
du könntest Wasser in einem Sieb tragen.
Du kannst Erzählungen beleuchten,
die wir sehen sollen.
Das Wort ist eine Falle, der Blick ist eine Falle, und auch
das warme Händeschütteln beim Abschied ist eine Falle.
Wir glauben es dir, denn nichts ist genüsslicher, als dir zu glauben,
du Zauberer! Du verwandelst die Stille in einen Hut
und das Lächeln in ein weißes Kaninchen.

Brigitte Oleschinski
Als die Welt von meinen Schultern herabstieg,
fielen die Berge hinab.
Sie rollten fort und ich erreichte sie nicht.
Die Meere rannen durch meine Finger,
das Wasser spülte den Sand von meinen Lenden
und die Luft trocknete meine Haut.
Bevor alles zu Ende ging, hielt ich mich an deinem Arm fest
und bettelte um dein edles Lächeln:
Was könnten wir tun, meine Liebe?
Wir können schreiben und sein!
Das Weibliche, das Mütterliche, die Freiheit und das Gedicht
sind die Wege deiner Geheimnisse –
Wege, die die Erde fürchtet.

Hans Thill
Unter deinen Schritten wächst Gras,
zwischen deinen Fingern entspringen Wein,
Buchstaben, Metaphern und Texte.
Rosige Wolken ziehen über den Raum.
Du liest dein Gedicht,
deine Stimme ist ein Ausflug des Fremden in die neue Sprache.
Prinz der Weinberge, reich mir die Hand!
Dein Geschick fliegt hoch mit den Falken von Edenkoben.
Das Mädchen, das seinen Dichter küsste,
tanzte mit dir Walzer und vergaß
dich zu küssen.

 

Lina Atfah hat diesen Text nach ihrer Teilnahme an dem Projekt POESIE DER NACHBARN - DICHTER ÜBERSETZEN DICHTER im Künstlerhaus Edenkoben 2017 geschrieben, wo sie die hier genannten Dichter*innen kennengelernt hat.

– Ein Traum überblickt das ZuhauseLesenمنامٌ يطلُّ على البيت
– Die Grenzen / Ertrunken im AquariumLesenالحدود / غرقى في مجال الماء
– GeselligkeitLesenالمؤانسة
– Schnick schnack schnuckLesenحجرة ورقة مِقصّ
– Jedes syrische Haus hat einen KassettenrekorderLesenفي كلّ بيت سوري مسجّلة ..
– Der Weihnachtsmann wäscht die TotenLesenرجُلُ الهدايا ومغسّلُ الأموات
Lina Atfah Nino Haratischwili

Lina Atfah & Nino Haratischwili

Lina Atfah und Nino Haratischwili schreiben beide ohne Angst. Sie scheuen weder große erzählerische Bögen über Generationen hinweg noch Themen, die sie in Gefahr bringen.

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