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Ein Traum überblickt das Zuhause

Lina Atfah
Weiter Schreiben, Lina Atfah, Der Traum überblickt das Zuhause
© Nasser Hussein , Acryl auf Leinwand, ohne Titel, 40x40cm

 Für Wafa Ali Mustafa, die auf ihren Vater wartet,
der seit 2012 in den Gefängnissen des syrischen Regimes inhaftiert ist. Für alle Syrerinnen und Syrer, die warten.

 

Vater …

wir sind wieder da

ein fernliegender Sommertag

ich noch ein Kind

das Haus kleiner

die Gräser höher

Deine Familie geht durch die Zimmer

sie tauchen aus einer Tür auf und verschwinden durch die nächste

Der Traum wandert umher

geht in die dunklen Zimmer

Ich erkenne das Dunkel nicht

Ist es eine Zelle oder ein alter Ort?

Ich sehe dich auf dem Boden sitzen

versuche, dich zu berühren, aber ich entferne mich

oder werde unsichtbar

Warum siehst du mich nicht?

Meine Mutter ruft nach mir

die Stimme verklingt

der Ort dreht sich um mich herum

... wird wieder zum Wohnzimmer

Ich streiche mit der Hand über die Möbel

als nähme ich Abschied oder kehrte zurück

Nebel auf der Treppe

Nebel auf der Schwelle

Nebel auf dem Herzen

Ich bin aufgewachsen

der Ort dreht sich um mich herum

… wird wieder zum Dunkel

Ich strecke dir meine Hände entgegen

einem vergangenen Leben entgegen

aber sie erreichen dich nicht

als wäre ich ausgewachsen, nur meine Hände die eines Kindes

mit einem Auge, das alles erblickt

und einer Hand, die keinen Stern erreicht

Ich gehe auf dich zu, der Weg wird länger

als wäre der Weg eine Heimat

Ich gehe auf dich zu, die Heimat wird zur Grenze

alle Grenzen sind gleich

Ich gehe auf dich zu, die Soldaten folgen mir

die Menschen folgen mir

die Erde folgt mir auch

Mein Traum dauerte länger

so wie meine Reise,

und als ich dich erreiche, berühre ich deine Hände

du drückst mich weg und lächelst

du sagst, du wirst zurückkommen

Ich bin wach

ich habe deine Hände doch berührt

ich weiß es, aus der Taubheit in den Fingern

und dem Schlagen meines Herzens

Wie würde ich dein Bild umarmen

hier in den fremden Ländern?

Wie würde ich die Geschichte erzählen

in einer Sprache, die keine Geschichten mit deiner Stimme hat?

Wie würde ich vor den Botschaften stehen

den Menschen und den toten Nationen?

Sie warten auf meine Tränen, um sich traurig zu fühlen

„Wie süß die Trauer sein kann“, denken sie

während die Gesichter sich enthüllen

Ich weine tränenlos

die Zerstörung ist so groß

und die Vögel picken ihren Weizen aus den Körben der Massen

Ich habe nichts außer meiner Stimme

aber meine Stimme kann den Abgrund nicht füllen

Ich schrie zu den Göttern

aber meine Stimme zerbrach wie ein Tonkrug

Ich schrie zu den Menschen

aber sie neigten sich zu einer blutigen Fahne

schrie zu dir

aber die Worte sind dem Wunsch zu eng geworden

Von der Erde will ich eine Heimat

von der Heimat will ich eine Erde

Ich erweitere diese Luft

erweitere den Horizont

damit wir wir uns wiederfinden

damit die Masse zu einzelnen Menschen wird

Jedes Individuum besitzt ein Gesicht

jedem Gesicht gehört eine Seele

für diese Seele erhebt sich der Himmel

die Grenzen verblassen

Ich will, dass mein Vater zurückkommt

Ich will zurückkehren

 

 

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Lina Atfah Nino Haratischwili

Lina Atfah & Nino Haratischwili

Lina Atfah und Nino Haratischwili schreiben beide ohne Angst. Sie scheuen weder große erzählerische Bögen über Generationen hinweg noch Themen, die sie in Gefahr bringen.

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