Ein Traum überblickt das Zuhause
Für Wafa Ali Mustafa, die auf ihren Vater wartet,
der seit 2012 in den Gefängnissen des syrischen Regimes inhaftiert ist. Für alle Syrerinnen und Syrer, die warten.
Vater …
wir sind wieder da
ein fernliegender Sommertag
ich noch ein Kind
das Haus kleiner
die Gräser höher
Deine Familie geht durch die Zimmer
sie tauchen aus einer Tür auf und verschwinden durch die nächste
Der Traum wandert umher
geht in die dunklen Zimmer
Ich erkenne das Dunkel nicht
Ist es eine Zelle oder ein alter Ort?
Ich sehe dich auf dem Boden sitzen
versuche, dich zu berühren, aber ich entferne mich
oder werde unsichtbar
Warum siehst du mich nicht?
Meine Mutter ruft nach mir
die Stimme verklingt
der Ort dreht sich um mich herum
... wird wieder zum Wohnzimmer
Ich streiche mit der Hand über die Möbel
als nähme ich Abschied oder kehrte zurück
Nebel auf der Treppe
Nebel auf der Schwelle
Nebel auf dem Herzen
Ich bin aufgewachsen
der Ort dreht sich um mich herum
… wird wieder zum Dunkel
Ich strecke dir meine Hände entgegen
einem vergangenen Leben entgegen
aber sie erreichen dich nicht
als wäre ich ausgewachsen, nur meine Hände die eines Kindes
mit einem Auge, das alles erblickt
und einer Hand, die keinen Stern erreicht
Ich gehe auf dich zu, der Weg wird länger
als wäre der Weg eine Heimat
Ich gehe auf dich zu, die Heimat wird zur Grenze
alle Grenzen sind gleich
Ich gehe auf dich zu, die Soldaten folgen mir
die Menschen folgen mir
die Erde folgt mir auch
Mein Traum dauerte länger
so wie meine Reise,
und als ich dich erreiche, berühre ich deine Hände
du drückst mich weg und lächelst
du sagst, du wirst zurückkommen
Ich bin wach
ich habe deine Hände doch berührt
ich weiß es, aus der Taubheit in den Fingern
und dem Schlagen meines Herzens
Wie würde ich dein Bild umarmen
hier in den fremden Ländern?
Wie würde ich die Geschichte erzählen
in einer Sprache, die keine Geschichten mit deiner Stimme hat?
Wie würde ich vor den Botschaften stehen
den Menschen und den toten Nationen?
Sie warten auf meine Tränen, um sich traurig zu fühlen
„Wie süß die Trauer sein kann“, denken sie
während die Gesichter sich enthüllen
Ich weine tränenlos
die Zerstörung ist so groß
und die Vögel picken ihren Weizen aus den Körben der Massen
Ich habe nichts außer meiner Stimme
aber meine Stimme kann den Abgrund nicht füllen
Ich schrie zu den Göttern
aber meine Stimme zerbrach wie ein Tonkrug
Ich schrie zu den Menschen
aber sie neigten sich zu einer blutigen Fahne
schrie zu dir
aber die Worte sind dem Wunsch zu eng geworden
Von der Erde will ich eine Heimat
von der Heimat will ich eine Erde
Ich erweitere diese Luft
erweitere den Horizont
damit wir wir uns wiederfinden
damit die Masse zu einzelnen Menschen wird
Jedes Individuum besitzt ein Gesicht
jedem Gesicht gehört eine Seele
für diese Seele erhebt sich der Himmel
die Grenzen verblassen
Ich will, dass mein Vater zurückkommt
Ich will zurückkehren