Briefe von 14 Gazellen
1
Die Trauer besaß nie ein eigenes Haus.
Sie wohnte wie eine Verwandte
in unseren Häusern.
2
Jetzt brennt im Garten
kein Licht mehr,
niemand ist da,
zarte, noch nie gesehene Blumen blühen vor sich hin.
3
Der Regen fällt. Er fällt hinab und niemand horcht auf ihn.
Horchen ist der Beruf des blinden Herzens.
4
Das Land, das uns freudlose Namen gab,
ruhelose Mütter
und eine Nationalhymne, die dem Mörder huldigt,
wird es nach einem Vierteljahrhundert und noch einem Krieg
unsere Särge weiterreisen lassen?
5
Es sollte Trost geben,
damit das Haus des Dichters in einer blinden Welt leuchtet.
6
Dass wir unsere Koffer ständig mit uns tragen,
macht uns keine Angst mehr, du Land.
7
Allein das Wasser
weiß, warum die Blumen weinen,
auf den Terrassen der seligen Häuser,
die wir aufgaben.
8
Ich war ein großer Laden für viele Sachen.
Nur der Hass hat bei mir nichts gekauft.
9
Nachts werde ich alt
heimlich vor der Zeit,
ohne dass mich jemand sieht.
Ich werde hundert Jahre alt.
Die Traurigkeit, die unter meiner Haut wächst, wird zum Gedicht,
und ich bleibe, wie ich bin,
eine kleine Gazelle im Spiegel der Quelle.
10
Wir lieben dieses Land,
bis es vollkommen in Trümmern liegt.
11
Haben wir überlebt?
Niemand weiß es.
Der Krieg hockt immer noch im Familienalbum.
12
Bevor sie dich entstellten,
bevor sie dir einen Namen gaben,
deine Konfession bestimmten, deinen Glauben, deine Religion
und ihren Aberglauben,
warst du Salzwasser,
vermischt mit den Tränen deiner Mutter.
13
Liebesbriefe
werden nicht mehr gesendet.
Nur Pakete des Elends fallen auf diese Welt.
14
Ich trage deine Trauer auf dem Horn einer Gazelle,
im Kühlhaus gibt es keine Blumen.