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Drei Versuche, den Ton zu mumifizieren

Ahmad Katlesh
Weiter Schreiben Bild zum Text Ahmed_Katlesh Versuche @ Obaidah Zorik
© Obaidah Zorik, ohne Titel, 15 x 14 cm, Tinte auf Papier (2016)

 

1. Nimm die Tür vor deinem Gesicht mit

Die Familie sagte zu dem Wütenden: „Geh, geh, und nimm die Tür vor deinem Gesicht mit!“ Und er nahm die Tür vor seinem Gesicht mit und kam nicht wieder und ließ seine Familie ohne Tür zurück. Die Tür aber blieb ohne Klinke und das Schloss ohne Schlüssel.

Sein Gesicht öffnete er niemandem, also schrieben sie auf die Tür, was Schüler auf Schultoiletten und Betrunkene an die Türen von Bars schreiben.

Die Tür hielt ihn davon ab zu reden und im Warteraum nachzufragen. Sie bewahrte ihn vor den ersten Begegnungen und schützte ihn vor der Kälte. Nur in der Sonne brannte er. Doch das war ihm egal, er sog das Feuer ein wie den Rauch einer Zigarette. Der Rauch verdichtete sich in ihm und er konnte ihn nicht ausatmen, bis er fast daran erstickte. Doch bevor er die Tür endgültig schloss, füllte sich sein Bauchraum mit den Schreien seiner Familie, sie trösteten ihn in seiner Einsamkeit.

Niemand hatte jemals auf sein hässliches Gesicht geachtet. Wenn er eine Frau liebte, war die Tür sein Verbündeter. Frauen lieben Türen und haben Angst, sie zu öffnen. Er braucht niemanden, wenn er eine Frau liebt oder von einer Frau geliebt wird und zwischen ihm und den anderen Menschen die Tür verschlossen ist. Bald wird er sterben, wenn der Rauch seinen Körper ausgehöhlt hat und zu Lehm geworden ist. Die Tür vor seinem Gesicht wird zu einem Haus, einem geschlossenen Haus, das die Stimme der Familie bewahrt.

 

2. Die niedrigen Decken

Die niedrige Zimmerdecke ist eine langsame und schwere Übung für deine letzte Bleibe, das Grab. Willst du nicht aus seinen Wänden heraustreten?

„Ich bin bereit für meine letzte Bleibe“ ist dein Todeszeichen und du fragst dich: Was machst du mit deiner Zeit?

Du nennst den Laternenpfahl auf dem Bürgersteig gegenüber eine Kerze. Den Baum auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig nennst du Rose. Die Rose hat eine Frau zurückgelassen, die wusste, dass du keine Rosen magst. Die Rose hat sich in einen Baum verwandelt, der keiner Pflege bedarf.

Du denkst, was wird aus deiner Stimme? Du wirst deinen Körper kurz nach deinem Tod nicht verlieren, aber deine Stimme schon.

Die Stimme in dir ist mutig, sie schreit, wenn deine Hand nicht zuschlagen kann, wenn deine Füße sich nicht vom Fleck bewegen. Die Stimme hebt die Zimmerdecke nicht an, doch sie sickert durch die Wand, sie gibt den Dingen ihre Namen zurück: Dies ist ein Laternenpfahl, keine Kerze, dies ist ein Baum, keine Rose, dies ist eine Decke, kein Grab. Deine Stimme tönt aus dem Raum und gibt den Dingen ihre Namen zurück, außer deinen, den du nicht gerufen hast und den niemand genannt hat.

 

3. Wie die Namen vergreisen

Mit der Wiederholung altern die Namen und ihre Besitzer werden alt. Sie verstecken sich, sie halten ihre Namen für unfehlbar und ewig.

Eine Frau wiederholt ihren Namen in dem leeren Haus. So wird er alt, aber er stirbt nicht, seine Haut wird schwer, aber sie fällt nicht, sein Haar ist ausgeblichen, aber es leuchtet, bis sie die Dunkelheit verliert, also schläft sie nicht.

Ginge sie jetzt an dir vorbei, würdest du zu ihr sagen: „Du siehst jünger aus.“ Sie würde lachen, aber sie ist jünger als ihr Name. Wenn du ihr den Namen zurückgibst, kann sie ihn nicht tragen. Sie lässt ihn bei dir und verschwindet.

Nenne den Namen deiner Mutter nicht, damit er ihr bleibt und du ihn wiederholst, wenn du sie siehst. Jahr für Jahr wird deine Mutter älter, ihr Name aber bleibt derselbe, solange du abwesend bist. Wenn du zu ihr zurückkommst, wird ihr Name für sie zu jung sein. Du wirst sie oft rufen müssen, um mit ihr Zwiesprache zu halten.

Der Prophet sagt: „Bete zu Gott, als ob du Ihn siehst.“ Wir wiederholen die Gottesanrufung, das Wort wird größer und wir erben sein ewiges Leben, und wenn es auf unseren Herzen lastet, befreien wir andere von ihren Sünden. Wir sterben verschleiert, wir vererben es den anderen und wir sehen nicht.

 

Ahmad Katlesh Ulrike Almut Sandig

Ahmad Katlesh & Ulrike Almut Sandig

Poesie hat ihren Ursprung in der mündlichen Überlieferung, Gedichte wurden rezitiert, gesungen und weitergetragen. Ahmad Katlesh und Ulrike Almut Sandig finden sich in ihrem Interesse für Stimme und Sound.

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