Wir wollen nur das Leben
Mit festen Händen und kräftigen Füßen
stießen wir die Spitzhacke in den Leib der Erde
und schütteten das ewige Leben zu.
Wir stießen nur unsere Messer in ihr Herz
nahmen bloß die Schutzmaske der Hoffnung von ihrem Gesicht,
doch sie strampelte wie eine Gazelle, die in der Öde zugrunde geht.
Sein glänzender Körper
war so klein wie unsere Vorstellung.
Sein Tod war leichter als der eines zerquetschten Babys im vierten Stock
eines irakischen Krankenhauses.
Mit bloßen Händen
zerstörten wir die Tontafeln von Sumer,
setzten Gilgamesch auf einen Stuhl
und sagten: Wir wollen nur das Leben.
Du, der die Landenge zuzuschütten versäumte,
der die Natur in aufgewühlte Untiere verwandelte
und den Alltag im Leben Enkidus zerstörte:
Wir wollen das Leben.
Das Leben wollen wir
ohne Feinde, die ihre Gemeinheiten auf die
Dächer werfen, ohne Geschosse auf Blumen oder Tavernen voller Ideologien.
Wir wollen, dass deine gehetzten Tiere friedlich im Zoo sitzen.
Deine Mordenden sollen die riesigen Stiere für die Hungrigen in
einer trostlosen Steppe schlachten.
Den Flüchtigen auf den Meeren leih die Flügel deiner Konkubinen,
leih ihnen deine Haut bei der Suche nach dem ewigen Leben,
lass sie mit den Segeln der Sorglosigkeit weiterziehen,
schenk ihnen dein Festland und töte die Schlange,
bevor sie in ihre Höhle dringen,
schenk ihnen den Baum des Lebens und
schneide das Kraut der Ewigkeit,
damit sie sich an seinem Feuer wärmen.
Wir sahen
die Muskeln des Universums erzittern,
die Widerhaken der Verzweiflung
wie sie im Himmel und in den Gassen erschienen,
die Sensen des Nichts,
als sie den erregten Jugendlichen die Jahre entrissen.
Wir sahen die nutzlosen Mähdrescher – die Maschinen der großen Verwirrung,
wie sie die Körper der Frauen zerquetschten.
Wir sahen auch:
Trümmerhaufen in der Zukunft schwinden,
Geschichte und Gegenwart sich in einer Ruine streiten,
die Nadeln der Invasoren im Leib der toten Städte wühlen.
Die Anführer bemühten sich wie verzweifelte Jungen,
den Rest des Daseins zu steinigen.
Wir sahen die Menschen,
wie in ihrem Schlaf Kolonnen von Alpträumen vorrückten.
Sie waren lahmende Krähen und beerdigten die Toten emsig.
Sie schlugen tief in die Erde und fütterten sie mit rohen Herzen.
Wir sahen die kranken Geister,
wie sie den gelben Sand über ihre zerzausten Haare rieseln ließen.
Wir sahen die erstickten Sterne,
die von oben in die leeren Brunnen fielen.
Wir sahen Reiter,
die Städte mit Hymnen und Schwertern umzingelten.
Und wir sahen alles, was nicht zu sehen war.
Wir gingen durch das Brachland
mit Schwammköpfen, die den Tod aufsaugten,
und mit spitzen Händen, die die schlafende Trauer weckten.
Wir öffneten die Kühltruhen der Depression und betraten sie,
wir verschlossen sie fest mit uns
und blieben dort,
den Tadel
und die messerlangen Sätze zu erziehen.
Wir sind nur Seelen aus Stroh,
fürchten das Wrack,
haben Angst vor Heerscharen von hungrigen Lasttieren.
Obwohl wir nicht
nach Messern griffen
und keine Feinde hatten,
tobte das Blut in unseren Körpern.
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Das Gilgamesch-Epos entstand etwa zweitausend Jahre vor unserer Zeit im Zweistromland, dem heutigen Irak. Gilgamesch ist ein sumerischer König, zu zwei Dritteln Gott, zu einem Drittel Mensch. Nach dem Tod seines Freundes Enkidu begibt er sich auf die Suche nach dem ewigen Leben. Er findet ein Kraut, das ewige Jugend verschafft. Als er es an eine Schlange verliert, kehrt er zurück und findet sich in sein Schicksal.