Deine Einladung lässt mich hoffen – Brief 8
Osama Al-Dhari an Joachim Sartorius, 27. Dezember 2020
Übersetzung: Jessica Siepelmeyer
Lieber Joachim,
hier kommt mein letzter Brief an Dich im Rahmen dieses Projekts. Ich erinnere mich noch gut an Deinen ersten Brief. Du sprachst über die Schwierigkeit, einer unbekannten Person zu schreiben. Unser Briefwechsel gibt mir das Gefühl, Dich seit langer Zeit zu kennen. Ich kann es kaum erwarten, Dich zu treffen. Für deine wunderbare Einladung danke ich Dir. Sie lässt hoffen, dass die Welt sich weiterdreht, wir Menschen einander irgendwann wieder begegnen, miteinander diskutieren und leben können wie vor der Virus-Katastrophe. Sie lässt hoffen, dass ich aus der Isolation hier – zusätzlich zu der, die alle betrifft – herausfinde (auch wenn ich Langenbroich damit enttäusche). Vielen Dank dafür!
Wenn es dieses Jahr für mich etwas Besonderes gab, lieber Joachim, dann diese Momente, in denen wir unsere Gedanken austauschten. Auch wenn es ein hartes Jahr war, ist es schnell vergangen. Und doch weiß ich nicht so recht, wie ich es in meinem Leben verbuchen soll, genauso wenig wie die Jahre seit 2011. Auf die Frage, was in der Zeit so passiert sei, wäre meine ehrliche Antwort, dass ich es nicht weiß. Mit Bestimmtheit weiß ich nur eins: Plötzlich war ich zweifacher Vater. Mein emotionales Gedächtnis hat sich 2011 verabschiedet, als ich viele Freunde und Freundschaften verlor, sei es wegen der Revolution oder des Krieges.
Ja, du hast mich richtig verstanden, was die Literaturkritik angeht. Was du dazu schreibst, kann ich nur bestätigen. Auch wenn Literaturkritik eine komplexe Angelegenheit ist, spielen Geschmack und persönliche Aspekte – meiner Ansicht nach – eine nicht zu unterschätzende Rolle. So mancher Literaturkritiker hat früher seine Meinung zu einem Text in die eine oder andere Richtung geändert – kaum, dass er den Autor kennengelernt hatte. Vielleicht hat die Kritik dies so an sich.
Ich wünsche Dir und Deinen Lieben ein ruhiges, gesundes Jahr, frei von unangenehmen Überraschungen. Und dito: Bleib negativ, wie es heute so schön heißt.
Viele Grüße
Osama