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Der Vigilant

Bahram Moradi
Illustration © Ramin Parvin
© Ramin Parvin, Im Hotel, Marker, Stift, Papier, Karton, 30 x 49 cm (2023)

 

An Wölfen mangelte es auf der Insel nicht, einer kam sogar mit dem Schiff.

(Nordiranisches Sprichwort)

 

Der verschlossene Umschlag, den Haschemzadeh mir übergeben hatte, trug Babas Handschrift. Er müsse mich wegen einer dringenden Angelegenheit treffen, schrieb er. Wo? In der Stadt des Löwen, Singapur. Wie? Babas „Wie“ war die James-Bond-Tour: auf Umwegen und mit einigen Fluglinienwechseln. Mir brannte die Sicherung durch. Da willst du nach längerer Zeit deinen Sohn sehen und statt ihn einfach anzurufen, lässt du Haschemzadeh für dich den Boten spielen? Ich hatte keinen Zweifel, dass Haschemzadeh wusste, was in dem Brief stand. Konnte das eine Verschwörung sein, um mich, der ich nicht viel, aber eben auch nicht wenig wusste, unter die Räder zu bringen? Viel zu wissen ist ein Sicherheitsgurt, der sich, wenn du nicht aufpasst, in einen Seilspeer verwandeln kann. Ich rief Baba an, fragte: „Hadschi, was gibt‘s Neues?“ „Hadschi, Lieber, ich hab zu tun. Besorg einfach, was ich dir geschrieben habe“, sagte er nur. Gefährlich war die Sache offenbar nicht.

Ich flog also hin, aber statt im Carlton Hotel Singapore zu übernachten, wo, wie Baba geschrieben hatte, für mich reserviert worden war, nahm ich mir ein Zimmer in einem gewöhnlichen Hotel und ließ Baba über die Rezeption mitteilen, dass ich ihn allein im Stadtzentrum treffen würde. Als er kam, erschien er mir munterer und vitaler als je zuvor. Er lachte und fragte: „Wieso bist du nicht ins Hotel gekommen?“ „Du machst ganz schön einen auf James Bond, Hadschi“, sagte ich. „Wenn du heutzutage nicht ein bisschen den James Bond raushängen lässt, wirft man dir gleich den Hut aus dem Ring, Sohnemann“, war seine Antwort.

Wir gingen in ein drittklassiges Hotel. Als wir das Zimmer betraten, machte ich große Augen. Vor mir erhoben sich zwei Hadschi-Exemplare, die beide ihre Fingerabdrücke in meinem Leben hinterlassen hatten. Einer tiefgreifend, der andere oberflächlich, der eine ein Schwer-, der andere ein Fliegengewicht: Hadsch Agha Malekian und Hadsch Agha Azizi. Malekian breitete seine Arme aus und sagte lächelnd: „Das Beste kommt immer zum Schluss.“ Er umarmte mich, Kuss links, Kuss rechts und einer auf die Stirn. Dann sah er an mir herunter. „Maschallah, Maschallah. Bist ein richtiger Europäer geworden, Junge. Wo ist der Ring, den ich dir gegeben hab?“ Azizi gab mir breitschultrig die Hand und küsste mich ebenfalls. „Möge Allah Ihren Ärger über uns ins Reine gebracht haben, großherziger Freund“, sagte er. Wir setzten uns. Noch ehe ich dazu kam, mir einen Überblick zu verschaffen, zu analysieren, was ich, Malekian, Azizi und Baba hier, in Singapur, miteinander zu schaffen haben konnten, und die Flicken an Vermutungen und Zweifeln entweder zusammenzunähen oder in den Wind zu schießen, sah ich mich bereits in einen Plan verstrickt, in dem ich, so viel stand für Azizi fest, die Rolle des Brückenkopfs spielen würde.

Azizi wollte elektronische Ausrüstung, von Abhör- und Aufspürtechnik über Ferngläser mit hoher Naheinstellgrenze bis hin zu Geräten für die Aussendung von Rundfunk- und Satellitenstörsignalen. Er trommelte mit seinem Zeigefinger auf dem Tisch. „Modern. Von ordentlichen Marken.“ Aber ganz die Blöße geben wollte er sich auch nicht. „Gott sei Dank ist es keine große Sache“, betonte er, „mit Gottes Hilfe haben wir uns ihren Sanktionen bisher widersetzt wie Löwen.“ – „Gut, und warum beschafft ihr euch den Kram dann nicht über eure bisherigen Quellen?“ – „Das Problem sind die neuen Sanktionen“, sagte Malekian. „Sanktionen an sich sind ja nichts Neues. Wir waren von Anfang an darauf eingestellt. Das Problem ist, dass diese amerikanischen Bastarde es jetzt irgendwie geschafft haben, die europäischen Länder mit unter ihre Decke zu ziehen.“ – „Was ist meine Aufgabe bei der ganzen Sache?“, fragte ich. „Mit den Erfahrungen und der Stellung, die Sie haben, könnten Sie bei den Deals der Brückenkopf sein“, sagte Azizi. Als er Erfahrungen sagte, nickte er unmerklich zu Malekian hinüber, der mich anglotzte, seine alte, kleinperlige Gebetskette herumschwang und dabei lächelte, als wollte er sagen, das ist mein Schützling, Maschallah. Dieser Azizi redete, als hätte er einen von mir ausgestellten Blankoscheck in seiner Tasche und es bliebe mir gar nichts anderes übrig, als in die Bresche zu springen. „Wie viel Provision?“, fragte ich. „Sieben Prozent des gesamten Warenwerts, bei jedem Geschäft“, sagte Azizi. „Fünfzehn Prozent, netto“, entgegnete ich prompt. „Du bist wieder mal kompromisslos, Junge“, sagte Malekian. „Was soll das heißen, fünfzehn Prozent netto?“– „Lasst uns ganz offen miteinander sein: Was ihr wollt, das verkaufen sie nicht an jeder Straßenecke. Punkt eins. Zweitens: Das ist kein Kinderspielzeug, das man mal eben so in einen Karton stecken und zur Post bringen kann. Drittens …“– „Wir haben auch noch andere Optionen, Bruder“, sagte Azizi. „Allerdings“, sagte Malekian, „so stramm, wie es vielleicht scheint, sind uns die Hände nun auch nicht gebunden. Am einfachsten ist es immer noch, die üblichen Handels- und Transportwege zu nutzen.“ (Jetzt war auch klar, warum dieses alte Nashorn sich aus seiner Basarbude hinausbequemt hatte, um in die Löwenstadt zu kommen. Die Düfte eines fetten Bratens waren ihm wieder in die Nase gestiegen.) – „Du meinst dieselben Wege, über die sonst Naschkram und Trockenobst importiert und exportiert werden, ja?“ Malekian machte eine jähe Bewegung und in seinen Augen blitzte es auf. „Drittens“, fuhr ich fort, „müssen die verlässlichsten Wege gefunden werden, bei denen uns weder die Gesetze der Europäer noch die Sanktionen in die Quere kommen können. Und diese Wege haben ihren Preis.“ „Zehn Prozent“, sagte Azizi, „und du übernimmst auch den Transport.“ Was für eine Giftspinne. – „Fünfzehn Prozent, netto, nichts darunter.“ – „Komm uns entgegen, Junge, und der Deal ist besiegelt“, sagte Malekian. – „Ich muss dem Wolf ins Maul fassen, mein werter Hadschi. Wenn die Sache irgendwann Lärm macht, schnappt man nicht nach euch.“ „Zwölf Prozent“, sagte Azizi, „möge Ihr wohltätiges Herz belohnt werden.“ – „Weder meine fünfzehn noch eure zwölf. Dreizehn Prozent.“ – „Deal“, sagte Azizi.

Ich warf einen Blick zu Baba rüber. Was hatte er hier zu schaffen? Er war doch nicht nur gekommen, um seinen Sohn zu einem Treffen mit zwei Wölfen zu schleppen. Azizi schwatzte jetzt wieder lang und breit über die Qualität der Waren, über Wege, die Sanktionen zu umgehen, und darüber, wo, wie und zu welchen Preisaufschlägen sie sich zum Beispiel Flugzeugbauteile beschafften – alles, um zu demonstrieren, was für unbeugsame Löwen sie gewesen waren. „Die Kosten für die Deals werden dann auch über Ihren werten Herrn Vater abgewickelt“, sagte er schließlich. „Was soll das heißen?“, fragte ich. „Sobald der Vertrag steht und alles abgemacht ist, wird das Geld von meinem Bankkonto in der Schweiz auf das Konto der jeweiligen Firma überwiesen und ich rechne alles mit Herrn Azizi ab“, sagte Baba. Puuh, aus fremden Taschen bedient ihr euch also. Sie wollten über Babas Konto zahlen, damit er ihnen danach in den Arsch kriecht, um das Geld zurückzubekommen. „Unter einer Bedingung“, sagte ich. „Bitte sehr“, sagte Azizi. – „Ihr überweist den vollständigen Betrag für Einkauf, Transport und meine Prozente auf mein Bankkonto in der Schweiz, bevor irgendetwas in Bewegung gesetzt wird.“ Azizi warf Malekian einen Blick zu. Malekian starrte mich immer noch an. Vermutlich dachte er jetzt, dass die Tricks, die er mir beigebracht hatte, etwas zu viel des Guten gewesen waren. Das Ziel vor Augen, hatte ich ruhig und beständig meine Schüsse abgegeben, ohne Fragen zu stellen, genauso, wie ich es von ihm gelernt hatte. Jetzt war es an der Zeit, ein sorgfältig verstecktes Schlupfloch zuzubetonieren. Ich fasste Baba unter dem Arm und zog ihn hoch. „Solange Vater und Sohn sich ein bisschen unterhalten, könnt ihr die Sache überdenken“, sagte ich und wir gingen raus in die Lobby. Baba beschwerte sich: „Du bist vielleicht geladen, Sohnemann. Wenn du‘s nicht machst, macht‘s ein anderer.“ – „Drauf geschissen. Die wollen was von mir, ich war es schließlich nicht, der ihnen einen langen Liebesbrief geschrieben hat.“ – „Hier geht es doch nicht um Kleckerbeträge. Und außerdem habe ich noch Rechnungen mit ihnen offen.“ – „Bist du scharf drauf, deinem Geld hinterherzulaufen? Diese Leute ziehen noch den Teufel höchstpersönlich über den Tisch!“ – „Malekian ist ein langjähriger Freund von mir.“ – „Malekian ist noch übler als Azizi, einer ist schlimmer als der andere. Begreifst du nicht, dass du dich vor ihren Karren spannen lässt?“

Sie akzeptierten meine Bedingungen. „Komm, wir lassen die beiden hier sitzen und vergnügen uns ein bisschen“, sagte ich zu Baba. Ich hatte überhaupt keine Lust darauf, dass ominöse Hände mir in der Stadt des Löwen ihr zweiklingiges Schwert in den Hintern rammten. Wir gingen für einige Tage nach Malaysia.

An dieser Stelle kam mir die Internetfirma zum Vertrieb von Computerzubehör zugute, die ich vor ein paar Jahren angemeldet hatte. Als Tarnung, damit die vom Finanzamt mich nicht am Schlafittchen packten, um herauszufinden, woher das Geld kam, und damit die Leute um mich herum den Mund hielten. Den Hauptpart spielte allerdings die Beihilfe eines Spielers namens Dieter. Er war ein Aufschneider mit leeren Taschen, der dennoch in einflussreichen Kreisen ein und aus ging und dessen Unternehmungen darin bestanden, die Frauen zu schröpfen, die ihm ins Netz gingen, oder sich an Leute wie mich zu hängen, die ihm Geld pumpen konnten. Wie sonst konnte er mit seinem mickrigen Einkommen jede Nacht vor dem Spielautomaten sitzen und auf das Gebimmel horchen, das ihn zum Gewinner (meistens aber eher zum Verlierer) kürte? Seine Rolle bestand darin, mich mit Herrn Fink in Verbindung zu bringen, einem Vorstandsmitglied des größten Konzerns für die Herstellung der von Azizi benötigten Artikel. Dieter, der bereits das dicke Geld witterte, verlangte für die Vermittlung natürlich seinen Anteil von zwei Prozent je Geschäft. Ich steckte ihm, dass er bei diesen Auftraggebern nicht sichergehen konnte, dass sie morgen oder übermorgen nicht schon einen anderen Schieber fänden, und es deswegen in seinem Interesse sei, beim ersten Geschäft acht Prozent zu verlangen und das Geld beiseitezulegen. Er willigte ein. Aber das alles war nicht der entscheidende Teil. Entscheidend war, durch eine Lücke von der Größe eines Nadelöhrs zu schlüpfen; alles Weitere würde ein Selbstläufer sein.

Einen Monat später verschickte ich die erste Lieferung im Wert von fünf Millionen Dollar über einen Sizilianer namens Don Marcello. Der besagte Konzern hatte im Vertrag ausdrücklich festgehalten, dass ein Zweck der Transaktion in der Überprüfung der Zahlungsfähigkeit des Kunden lag und darin, eine Basis für zukünftige Geschäfte zu schaffen. Dass es sich für mich dabei ebenfalls um einen Test handelte, wussten sie nicht.

 

 

 

 

 

Der Text ist ein Auszug aus dem Roman „Der Vigilant“, 2020 auf Persisch bei Mehri Publication (London, UK) erschienen. Er erzählt von einem jungen Mann, der sich nach der iranischen Revolution 1979 an illegalen Geschäften von hochrangigen Regierungsbeamten beteiligt, 1991 das Land verlässt, nach Deutschland kommt und sich hier, um wieder Zugriff auf sein gesperrtes Vermögen zu erlangen, einem Netzwerk von Informanten der iranischen Regierung anschließt.

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