Die achte Tochter
Allmählich wird es Abend. Aus Angst habe ich den ganzen Tag gefastet. Bis zum erlösenden Abendgebet dauert es noch eine Weile. Ich habe Hunger. Meine Beine sind schwach und meine Hände zittern. In der Küche herrscht eine lautlose Stille, die nur durch das hohe Pfeifen des Dampfkochtopfes unterbrochen wird. Die Stille lässt meine Angst noch größer werden. Ich schaue auf die Uhr. Es ist erst siebzehn Minuten nach fünf.
Ich stelle die Gasflamme unter dem Topf mit dem Gulasch etwas kleiner. Vor mir liegt das Gemüse, das ich für die Gäste am Abend zubereite. In der Küche herrscht Durcheinander. Plötzlich spüre ich Druck auf dem Herzen. Ich öffne den Bund Spinat, nehme ein großes Messer und schneide ihn klein. Selbst beim Schneiden des Gemüses spüre ich noch den Druck auf meinem Herzen. Den Reis muss ich auch noch aufsetzen, damit er bis zum Abend gar ist.
Ich muss stöhnen. Die Arbeit geht mir einfach nicht von der Hand. Ich frage mich, wie ich das alles schaffen soll. Heute bin ich besonders verwirrt. Gott steh mir bei! Mein Herz klopft erbarmungslos. Nicht einmal diese Schüssel mit Reis kann ich noch anheben. Dabei muss ich das Essen schon bald fertig haben. Der Duft des Fleisches lässt erahnen, dass es gar sein muss. Plötzlich verspüre ich ein Verlangen danach. Sobald der Aufruf zum Abendgebet kommt, werde ich bestimmt etwas davon essen. Möge Gott mein Fasten akzeptieren, so dass ich diesmal mit seinem Segen einen Jungen zur Welt bringe! Sonst will ich nichts. Wie gut, dass ich die Okraschoten und die Auberginen schon gestern Abend zubereitet habe. So habe ich jetzt etwas weniger zu tun.
Aus dem Zimmer sind Stimmen zu hören. Wie schrecklich laut meine Schwiegermutter und meine Schwägerin lachen! Was sie wohl sagen? Manchmal ist es ganz still. Dann lachen sie wieder mit schallend lauter Stimme. Nur Gott wird wissen, wo Scharifa und Nazanin sind.
Oh Gott! Ich bin jetzt im achten Monat. Diesmal bin ich nicht einmal mehr zum Arzt gegangen, um mich untersuchen zu lassen. Mein Herz sagt mir, dass es dieses Mal ein Sohn wird. Aber ich habe Angst, ihm könnte etwas zustoßen. Da höre ich eine süße Stimme. Wer mag das sein? Meine Augen erblicken meine dritte Tochter Basmina. Ich freue mich. Basmina hat die Schüsseln mit dem Gemüse für mich vorbereitet. Wie dankbar ich ihr für ihre geschickten Hände bin.
Das Fleisch und das Gemüse sind schnell zubereitet. Aber wie soll ich nachher ganz allein den großen Topf mit dem Reis anheben? Ich starre ihn an. Das letzte Mal, als Tante Makei zu Besuch war, hielt sie mich mit einem verächtlichen Blick davon ab, auch nur einen Eimer anzuheben. Und dieser Topf ist noch viel größer. Da ertönt auch schon der Aufruf zum Abendgebet. Wenn ich den Reis in den Kessel geben soll, müsste jemand aus dem Zimmer kommen und mir helfen, noch bevor ich das Fasten breche. Ich habe noch nicht einmal den ersten Bissen trockenes Brot zum Mund geführt, als meine älteste Schwägerin eintritt: «Soso, die Gäste sind noch nicht da und du hängst am Topf wie eine hungrige Katze.»
Vor Angst sitzt mir ein Krampf in der Kehle. Ich schiebe die Schüssel zur Seite. Sonst kann ich – bei Gott! – nichts tun. Ruhig gehe ich zu ihr. Da ist so vieles, was ich ihr sagen möchte, aber ich bekomme kein einziges Wort heraus. Meine Mutter sagt immer, ich soll mit meinen Schwägerinnen am besten gar nicht reden. Ich soll alles schweigend ertragen. Die Schwägerin geht wieder aus der Küche. Mir stehen schon wieder die Tränen in den Augen. Die hat gut reden! Sie hat nicht den ganzen Tag gefastet. Verflucht sei sie, diese satte und selbstgerechte Person! Jedes Mal kommen mir die Tränen. Ich wasche einen großen Topf und setze ihn auf den Herd. Ich drehe die Flamme hoch. Mein Leben ist wie das Wasser, das ich in diesen Topf gegossen habe. Meine Freude zerplatzt so schnell wie die Blasen an der Oberfläche des Wassers. Der Reis ist weich geworden. Ich schaue durch das Fenstergitter nach draußen. Niemand ist zu sehen. Wenn ich den Reis noch eine Minute länger auf dem Herd lasse, wird er zu weich. Was auch immer geschehen mag, ich werde den Topf anheben.
Ich hebe den Topf an und spüre plötzlich einen stechenden Schmerz im Rücken. Wasser ergießt sich über meine Beine. Mit Mühe bekomme ich den Reis aus dem Topf. Ich gebe Öl und Gewürze dazu und komme langsam wieder zu Atem und auf die Beine. Aber die Schmerzen in Bauch und Rücken werden immer stärker. Ich möchte laut schreien. Ich setze mich von einem Platz auf den anderen und verschwinde in meinen Schmerzen. Ich kann nichts mehr tun.
Da geht die Küchentür auf. Haschmat, mein jüngster Schwager, ruft: «Ist das Essen fertig? Die Gäste sind da.»
Als er durch die Küchentür tritt, schaut er mich an. Ich höre eine Stimme: «Schwägerin! Was ist passiert?» Er spritzt einige Tropfen Wasser über mein Gesicht. Dann starrt er mich an und rennt aus der Küche. Nach wenigen Augenblicken stehen meine älteste Schwägerin und meine Schwiegermutter neben mir.
Die Schwiegermutter keift: «Du verlogenes Ding! Warum hast du uns nicht gerufen, wenn du nicht kochen kannst? Was sollen wir denn den Leuten in deinem Dorf und deinen Verwandten erzählen, wenn du uns hier zugrunde gehst?» Vor meinen Augen wird alles schwarz. Haschmat ist böse auf seine Mutter und seine Schwestern. Ich aber höre nichts mehr von dem, was sie miteinander reden. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist die schwarze Farbe eines Autositzes. Dann verliere ich das Bewusstsein.
Seit drei Tagen atme ich den unangenehmen Geruch des Krankenhauses. Meine Hand hängt am Tropf, auf meinem Körper liegt eine weiße Decke. Immer wieder kommt eine Krankenschwester und schreit die Frauen an, die ihre Kinder noch nicht zur Welt gebracht haben. Die Krankenschwestern beschimpfen jede, die unruhig wird, schreit oder auch nur stöhnt. Alle diese Frauen haben einen tiefen Schmerz in ihren Augen. Eine liegt im Bett neben mir und stillt ein kleines Kind.
Ich schaue auf dieses Kind und muss plötzlich an mein eigenes Kind denken. Ich rufe zur Krankenschwester: «Wo ist mein Kind?»
Eine Krankenschwester mit schmalen und pink geschminkten Lippen kommt zu mir und schaut auf meine Krankenakte. Sie liest sie aufmerksam. Ohne ein Wort zu sagen, geht sie aus dem Zimmer. Eine halbe Stunde später kommt sie zurück und ich frage erneut: «Wo ist mein Kind?»
Die Schwester sagt: «Dein Kind ist schwach und liegt drüben im Brutkasten. Die Ärzte bringen es zu dir.» Ich frage nach: «Ist es ein Junge oder ein Mädchen?»
Die Krankenschwester grübelt einen Moment, dann antwortet sie: «Ich weiß nicht. Frag die Ärztin, wenn sie vorbeikommt.» Mir bleibt beinahe das Herz stehen. Habe ich einen Sohn oder eine Tochter? Ich hoffe sehr, dass es diesmal ein Sohn ist. Bestimmt hat Gott meine Bittgebete erhört. Doch was soll ich nur machen, wenn es ein Mädchen ist?
Mein Leben würde zur Hölle werden. Mein Herz pocht immer schneller. Wenn meine Vermutung doch wahr wäre! Wenn mein Kind doch diesmal ein Junge wäre! Lieber Herrgott! Steh mir bei! Wenn mein Kind diesmal ein Sohn ist, werde ich unbedingt ein Opfer darbringen. Ich werde wieder fasten und ich werde zu heiligen Orten pilgern.
Ich frage die Frau neben mir nach der Uhrzeit. Es ist genau elf Uhr. Mein Kind habe ich noch immer nicht gesehen. Die Ärztin kommt auch nicht vorbei. Ich schaue auf meine Hand. Sie ist ganz blau. Was das wohl bedeuten mag? Vielleicht wurden dort in den drei Tagen, als ich ohnmächtig war, Nadeln eingeführt. Ein Herr in reifem Alter und eine ältere Frau betreten den Raum. Vielleicht sind es Angestellte des Krankenhauses. Nein, es sind keine Angestellten. Sie bringen der Frau neben mir etwas zu essen. Der Lärm der Frauen im Raum wird immer lauter, aber diese Frau schreit am lautesten. Ihr Schrei frisst sich in mein Hirn.
Eine Ärztin betritt den Raum. Sie schreit den Mann an und schickt ihn aus dem Zimmer. Mit lauter Stimme ruft sie: «Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie hier keine männlichen Besucher einlassen sollen? Haben Sie das nicht verstanden?»
Die Ärztin kocht vor Wut. Mir pocht das Herz. Wie soll ich sie fragen, wo mein Kind ist, ob es ein Sohn ist oder eine Tochter? Ich habe den Mund noch nicht einmal geöffnet, da geht sie auch schon wieder aus dem Zimmer. An der Tür schreit sie die Frau an, die den Eintritt der Besucher überwacht.
Ach, was soll ich nur tun? Durch das Zimmer strömt der Duft von gebratenem Fleisch. Ich spüre Hunger. Zwei Krankenhausangestellte sind ins Zimmer gekommen und verteilen unter den Kranken je eine Schüssel Reis, Bohnen und eine Banane. Die Frau neben mir beugt sich zu mir und reicht mir einen Happen. Ich sage ihr, dass ich das nicht essen werde. Sie antwortet: «Du brauchst das nicht zu essen.» Ich habe wirklich Hunger, aber ein Happen wird mich nicht von meinen Sorgen und Nöten befreien. Wenn es diesmal kein Sohn ist, wird mein Leben ohnehin vergiftet sein. Ich ertrinke in meinen Gedanken. Der Schlaf beginnt mich zu überwältigen. Ich stelle das Geschirr zur Seite und möchte schlafen.
Das Geschrei eines Kindes weckt mich auf. Ein Kind von einer der Frauen im Zimmer ist sehr unruhig geworden. Die Frau hält ein Kind von einem oder anderthalb Jahren im Arm und hat gerade ein weiteres zur Welt gebracht. Das ältere Kind schreit. Ich sage zu ihr, dass sie den Älteren besser bei jemandem zu Hause gelassen hätte. Sie antwortet mir, dass man ihn ihr erst gestern gebracht hat, weil er zu Hause nur schrie. Deshalb müsse sie ihn hier bei sich halten. Ich lächle ihr zu und sage: «Möge Gott ihn dir bewahren!»
Der Tag geht vorüber. Es ist Abend. Ich weiß immer noch nichts von meinem Kind. Außer auf Toilette darf ich nirgendwo hingehen. Die Ärzte sagen, ich soll mich erholen, aber wenn man weit weg ist von seinen Kindern, dann ist das, als würde man sich im Grab erholen. Ein merkwürdiger Zustand.
Die Nacht ist hereingebrochen. Alle Frauen im Zimmer schlafen. Nur ich liege wach – und eine andere Frau zwei Betten von mir entfernt. Mit meinen Gedanken lasse ich die Nacht zum Morgen werden.
Eine junge Ärztin betritt den Raum. Sie wirkt frisch. Auf dem Kopf trägt sie ein hellblaues Schaltuch. Vom Rand des Tuchs hängen Ringe über ihrer Stirn. Sie sieht gut aus. Es scheint ihr heute wirklich gut zu gehen. Ich frage sie: «Frau Doktor, wie geht es meinem Kind? Ist es eine Tochter oder ein Sohn? Die Krankenschwester hatte gesagt, es sei schwach und liege im Brutkasten.»
Die Ärztin schaut mich mit festem Blick an: «Danke Gott, dass dein Kind noch lebt. Es war so schwach. Wir hatten Angst, es würde aufhören zu atmen. Was hast du nur gemacht, dass alles so weit gekommen ist?»
Ich wende mich zu ihr: «Frau Doktor, meine Tante hat mir gesagt, ich soll während der Schwangerschaft für das Kind fasten, damit es diesmal ein Sohn wird.» Meine Worte bringen die Ärztin in Rage: «Du fastest, während du schwanger bist? Und dann schwärzt du die Ärzte an, wenn dein Kind bei der Geburt stirbt. Und solche Frauen kommen auch noch lebend davon!»
Die Ärztin geht aus dem Zimmer. Ich habe ihr doch nur mein Herz ausgeschüttet. Wenn sie mir doch nur sagen würde, ob es ein Sohn ist oder eine Tochter. Warum quält sie mich so?
Einen Augenblick später kommt eine Krankenschwester und kündigt an: «Die Frauen, deren Kinder im Brutkasten liegen, können sie heute Nachmittag übernehmen.» Meine Hände und Beine beginnen zu zittern. Immer wieder frage ich die Frau neben mir nach der Uhrzeit. Der Tag geht vorüber, aber es ist noch lange hin, bis ich zu meinem Kind gehen kann. Ich bin sehr aufgeregt, mein Kind zu sehen.
Es ist Zeit für das Mittagessen. Ich möchte nichts essen. Die Frau neben mir sagt: «Iss ein wenig, damit du dem Kind später Milch geben kannst.» Mit viel Mühe schlucke ich einige Bissen herunter. Eine ältere Frau kommt, um die Schüsseln wieder einzusammeln. Das Geschirr wird weggeräumt. Eine Frau bringt eine Thermoskanne mit Tee. Mir reicht sie auch eine Tasse.
Über die Gespräche der Frauen geht der Tag zu Ende. Ich liege die ganze Nacht bis zum Morgen wach. Für mich beginnt der fünfte Tag im Krankenhaus. Es ist neun Uhr morgens. Da treten mein ältester Schwager und seine Frau durch die Tür und sagen mir, dass ich mit ihnen kommen soll. Ich nehme an, die Ärzte haben mich entlassen. Ängstlich frage ich sie: «Ist mein Kind ein Sohn oder eine Tochter?»
Ihre Augen sind wie tot. Kein Wort sagen sie zu mir. Ich verliere die Hoffnung. Ich nehme das Kind aus ihren Armen und schaue unter die Wolldecke. Es ist ein Mädchen. Wie eine Tote mache ich mich mit ihnen auf den Weg. Ich zittere am ganzen Körper und das Zittern wird immer stärker. Ich weiß nicht, ob mein Herz vor Angst bibbert oder ob es draußen einfach nur kalt ist. Ich schaue auf meine Tochter und sage mir: ‹Was wäre wohl, wenn du ein Junge wärst? Wenn ich jetzt nach Hause gehe, werde ich wieder den ganzen Tag die Beschimpfungen der Schwiegermutter und der Schwägerinnen ertragen müssen. Ach, wäre ich doch nicht mehr am Leben, wenn wir zu Hause ankommen! Ich bin so müde von diesem Leben.›
Wir erreichen das Haus. In der Straße sind Schellentrommeln und Lieder zu hören. Es scheint, als ob der Nachbar seinen Sohn verheiratet. Nein. Nein. Die Stimmen kommen aus unserem Haus. Ich freue mich, weil mein Schwager wahrscheinlich geheiratet hat. Nun wird mich zu Hause wohl niemand mehr so hart beschimpfen, weil ich schon wieder eine Tochter zur Welt gebracht habe.
Als ich im Hof ankomme, springt mir Marwa, meine kleine Tochter, in die Arme. Ihr Gesicht ist verschmutzt. Ich nehme sie an meine Brust und wische ihr mit einer Ecke meines Schleiertuchs Gesicht und Nase sauber. Ich frage sie: «Marwa, was ist los im Haus?»
Mit ihrer schönen kräftigen Stimme sagt sie: «Ich weiß nicht, Mama. Alle haben schöne Kleidung angezogen. Mir haben sie diese gelbe Hose hier gebracht.» Ich frage mich, was da vor sich gehen mag.
Als ich ins Haus komme, bewerfen mich Frauen mit Konfekt und kandierten Nüssen. Ich denke nicht, dass jemand so willkommen geheißen wird, weil er eine Tochter auf die Welt hat. Sie sagen zu mir: «Alle gratulieren uns.» Ich muss lächeln und bedanke mich, weil ich mit allen anderen willkommen geheißen werde. Da sagt eine Frau zu meiner linken Seite: «Ich sehe zum ersten Mal, dass eine Frau sich freut, wenn ihr Gatte sich eine zweite Frau genommen hat.»
Ihre Worte treffen mich so, als hätte jemand kochendes Wasser über meinen Kopf gegossen. Meine Beine werden schwach. Mir schnürt es die Kehle zu. Meine Augen sind ganz trocken. Ich kann nicht einmal weinen. Ich setze mich mitten im Zimmer auf den Boden. Mein Kind fällt mir aus den Armen. Eine Frau, die daneben sitzt, fängt es schnell auf. Das Geschrei meiner Tochter frisst sich in mein Hirn. Ich hasse sie so sehr, dass ich sie nie mehr sehen möchte. Ich bin ganz still, aber meine Nerven sind am Ende.
Der Lärm der Frauen ringsum wird immer lauter. Haben sie sich etwa alle um mich herum versammelt? Ich bin noch immer in meiner eigenen Welt versunken. Da kommt Maiwand, mein Mann, ins Zimmer. Wie eine verrückt gewordene Löwin springe ich auf ihn zu und spucke ihm aus tiefstem Rachen ins Gesicht. Maiwand wird deshalb sehr zornig und gibt mir in seiner arroganten Art eine deftige Ohrfeige. Ich stürze quer durchs Zimmer. Maiwand verlässt den Raum.
Tante Nargis, die Schwester meines Vaters, schickt mich mit ihrer Tochter Palwascha weg, damit sie mir ein Glas Milch gibt, weil ich doch vor kurzem erst entbunden habe. Mit viel Mühe hilft sie mir auf die Beine. Ich gehe mit Palwascha in die Küche. Überall steht schmutziges Geschirr herum. Es herrscht Chaos. Palwascha stellt die Milch auf den Gasherd und rennt wegen irgendetwas schnell wieder hinaus. Die Lieder aus dem Zimmer stampfen sich ihren Weg in mein Hirn. Ich bin mit meinen Nerven nun endgültig am Ende.
Die Milch auf dem Herd beginnt zu brodeln. Ich gehe hin und schütte mir die ganze Kanne heiße Milch über den Kopf. Sie läuft über meinen Kopf. Ich habe mich verbrannt und stürze zu Boden. Einige Frauen kommen in die Küche. Eine von ihnen rennt herbei und hilft mir auf. Mit einem schweren Seufzer sagt sie: «Die Arme! Man hat ihr eine Nebenfrau angeschleppt»
Eine andere mit besonders lauter Stimme sagt: «Das Glück hat sie verlassen. Das ist nun schon die achte Tochter, die sie zur Welt gebracht hat.»
Das Projekt Untold – Weiter Schreiben Afghanistan ist eine Initiative der KfW Stiftung in Kooperation mit „Untold – Write Afghanistan“ und Weiter Schreiben. Dieser Text ist zuerst auf Englisch im Rahmen von „Untold – Write Afghanistan“ erschienen. Hier können Sie den Briefwechsel zwischen Freshta Ghani und der Schriftstellerin Daniela Dröscher lesen.