Der Tanz der Bären in einem von Bränden umgebenen Land
Pass gut auf dich auf … Allah sei mit dir … Allah behüte dich … Allah möge dich beschützen … Wieder und wieder hört man diese Sätze von den Bewohnern von Damaskus, dieser von Bränden umgebenen Stadt. Redewendungen, Gebete und Wünsche, die Schreckliches abwenden sollen, doch angesichts der barbarischen Gefahr um uns herum ihren Sinn verlieren. Deshalb versucht die Nachbarstochter, die unbedingt zur Prüfung in die Universität gehen will, ihre Familie zu beschwichtigen: „Ich werde der Granate zuflüstern, dass meine Eltern anderes zu tun haben, als heute im staatlichen Fernsehen meinen zerfetzten Körper zu den Klängen von ‚Mautini‘ präsentiert zu bekommen.“
Noch schlimmer, als durch Geschosse getötet zu werden, ist jedoch vielleicht die Geschäftemacherei mit dem Blut der Toten auf den Märkten der Medien und der Politik. Im letzten Monat war bei einem Angriff in Duweila’a, einem armen Stadtviertel, eine Frau mit ihrer Tochter unter den Verletzten. Die staatlichen Medien hielten es nicht für nötig zu erwähnen, dass sie bereits aus einem durch Luftangriffe zerstörten Gebiet vertrieben worden war, nachdem sie ihre Familie verloren hatte. Dieser fremden, einsamen, von Armut geplagten Frau erlitt in dem Beschuss eine dauerhafte Behinderung und es gibt niemanden, der für ihren Unterhalt sorgen kann. Für die staatliche Berichterstattung war sie jedoch nur eine Nummer auf der Liste der Zivilisten, die Opfer der sogenannten „Terroristen“ wurden. Die Medien betrachten alle (!!!) Bewohner der Ghuta als Terroristen, denn für sie ist allein von Bedeutung, was ihrer Kriegspropaganda nützt.
Die dauerhaften Opfer des Kriegs, den das Regime führt, jene Syrer, von denen inzwischen jeder Einzelne ein tragisches Epos verkörpert, sind wertlose Komparsen. Ihr Tod durch ziellos abgefeuerte Geschosse soll rechtfertigen, dass in den von der Opposition beherrschten Gebieten Hunderte durch gezielte Luftangriffe getötet werden. Man zielt auf sie in den Leibern ihrer Mütter, lässt Feuer auf sie niederregnen und verbrennt die Erde unter ihren Füßen, denn in diesem Land gibt es nur noch Tötende und Getötete.
Diese unbarmherzige Gleichung verbreitet immer größer werdenden Schrecken. Man spielt das herunter und reißt Witze darüber oder verbreitet gar Gebete wie Kettenbriefe über WhatsApp, doch das ist alles nur ein kläglicher Versuch, diese Schrecken zu überlisten. Immer, wenn sich die Lage verschärft oder eine militärische Entscheidung in irgendeinem Gebiet herbeigeführt werden soll, gibt es eine weitere Runde verzweifelten Wahnsinns.
In der Ghuta müssen jetzt Entscheidungen fallen und deshalb herrscht dort große Furcht. Furcht vor der Verlängerung des Krieges, wenn der Angriff nicht zum „Sieg“ oder einer „Lösung“ führt, Furcht davor, dass das Regime bestehen bleibt, Furcht vor den unbekannten Folgen, falls es gestürzt wird, Furcht vor der russischen Sturheit, der iranischen Gerissenheit, dem amerikanischen Hin und Her, der europäischen Schwäche und der Abwesenheit der Araber, Furcht vor allem und um alles.
Überall herrscht Schrecken, geschürt durch die Propaganda des Regimes und die Berichte des Senders der russischen Militärbasis in Hmeimim, die von der Mutter aller Schlachten sprechen. Man habe die Tiger, Löwen und Panther und all die anderen Raubtiere des Regimes mobilisiert und sie würden ohne Zweifel einen ähnlichen Sieg erringen wie in Aleppo. Erwartungen, die die allgemeine dumpfe Gewissheit nicht verdecken können, dass aus dieser Hölle keiner, aber auch keiner gerettet wurde.
Als ein Geschoss auf das Viertel von Rukn ad-Din im Zentrum von Damaskus niederging und einen Arzt in seinem Haus tötete sowie Dutzende verletzte, sagte die Nachbarstochter ihren Eltern immer wieder: „Habt ihr das gesehen? Selbst in unseren Häusern sind wir nicht mehr sicher. Wenn deine letzte Stunde geschlagen hat, wird dir die Bombe frei Haus geliefert …“
Wir leben in Unsicherheit. In der Ghuta sterben sie durch Schüsse und im Herzen von Damaskus sterben sie an Mangel, Angst und Enttäuschung, während die Sicherheitsorgane nicht müde werden, ihre Krakenarme um die Menschen zu schlingen.
Sieben Jahre Koexistenz mit der Katastrophe können offensichtlich nicht verhindern, dass der Schrecken der ersten Tage zurückkehrt. Es ist, als habe der Krieg erst jetzt begonnen und alles bisher Geschehene sei nur eine Vorbereitung auf die Hölle gewesen, deren Stunde jetzt gekommen ist. Das Regime hat diese Entwicklung mit russischer Unterstützung forciert und kein Blatt vor den Mund genommen: Man werde die Ghuta dem Erdboden gleichmachen, sie restlos verbrennen. In den sozialen Medien ertönte der Aufschrei einer virtuellen Gemeinschaft: „Sie haben sie verbrannt, sie haben sie wirklich verbrannt!“ Aus den Bildschirmen der Handys, iPads, Fernseher und Laptops strömten Fotos aus der Ost-Ghuta, die ein schreckliches Bild des Todes zeichneten. Ein Vater, der nach einem Kühlschrank sucht, in dem er die Leichname seiner Frau und seiner fünf Kinder aufbewahren kann, bis der Beschuss vorbei ist, um sie dann zu beerdigen, ein anderer, der auf seinem Schoß sein totes Kind verbirgt, die kleinen Füße treten aus der Zerstörung heraus nach der Welt.
Wehklagen und Weinen und Hilferufe, deren Echo aus dem Osten ertönt, wenn das Heulen der Kriegsflugzeuge wieder den Himmel von Damaskus zerreißt.
Die Lage ist verzweifelt. Sie gleicht einer Szene aus einem alten Volkslied: „Der Bär stand auf, um zu tanzen, und trat auf den Hummusteller!“ Ein riesiger Bär trat auf den kleinen syrischen Teller und er tanzt immer weiter und es gibt keine Hoffnung, dass er aufhört alles zu zertrampeln. Keiner kann ihn aufhalten, weder humanitäre Aufrufe noch die beispiellosen Reaktionen der internationalen Medien, und so stellt sich die Frage: Was wäre, wenn all diese Bilder und Nachrichten nicht überall so verbreitet würden? Wäre der Tod in der Stille nicht weniger schmerzvoll? Zumindest würde den hilflosen Menschen das Gefühl der Verzweiflung erspart bleiben, und man würde den Mördern den Rausch des Gefühls unbezwingbarer Stärke verwehren! Hat die Aufdeckung der Kriegsverbrechen dazu geführt, dass sie sich nicht wiederholen? Wie viele Kriege sind nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg geführt worden und wie viele Menschen wurden in ihnen getötet?
Die Antworten darauf werden verhindert durch den blinden Tanz der Bären und internationale Interessen, die in den Krieg investieren und den Frieden als unprofitablen Handel betrachten.