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(W)Ortwechseln > Abdalrahman Alqalaq & Katerina Poladjan > Ein Baum trauert in Ewigkeit, wenn der Mann stirbt, dessen braune Hände ihn pflanzten – Brief 4

Ein Baum trauert in Ewigkeit, wenn der Mann stirbt, dessen braune Hände ihn pflanzten – Brief 4

Abdalrahman Alqalaq an Katerina Poladjan, 13. März 2020

„…seitdem unser Garten dunkel geworden war, hatte ich ein Problem mit jeder Betonwand“. Foto: privat

Liebe Katerina,

ich wünsche mir so sehr, dass ich in Hildesheim eine WG finden werde, in der auch ich eine Katze haben könnte.
In den kleinen Garten hinter unserem Haus in Damaskus kamen in der Nacht viele Katzen, die am Tag in den staubigen, engen Gassen unseres Viertels schlenderten, um Essensreste zu suchen. Sie kamen jeden Abend. Ich gab ihnen frische Milch, die meine Mutter direkt von dem Bauern auf der Kutsche gekauft hatte. Bis sich eines Tages mein Vater entschied, eine Wand zwischen unserem und dem Nachbargarten zu bauen, weil wir Kinder immer vom einen zum anderen Garten gesprungen sind.
Die graue Wand hat unseren Garten düster und dunkel gemacht. Wir hatten einen Wollmispel- und einen Bitterorangenbaum, deren Blätter aber nicht dicht genug waren, um die hässliche Wand zu bedecken. Eine Woche später hat mein Vater deswegen einen Zitronenbaum gepflanzt. Vielleicht auch, um den Garten wieder lebendiger zu machen.
Doch schon im Frühling und bevor der Zitronenbaum seine erste Blüte trug, starb mein Vater an einer Herzerkrankung. In den sieben Jahren danach, die wir bis zum Ausbruch der Revolution in diesem Haus wohnten, habe ich den Baum nie blühen sehen.
Meine Großmutter, der das Haus gehörte, erzählte in jedem Frühling dieser sieben Jahre, als wenn Gott es sich selber erzählte: Ein Baum trauert in Ewigkeit, wenn der Mann stirbt, dessen braune Hände ihn pflanzten.
Seitdem keine Katzen mehr unser Haus betraten und seitdem unser Garten dunkel geworden war, hatte ich ein Problem mit jeder Betonwand. So etwas wie eine Erbfeindschaft.

In diesen sieben Jahren sagte meine Mutter jeden Samstag, bevor sie das Haus um 8:15 Uhr verließ, zu mir: „Gott sieht dich, wenn du etwas Böses tust.“ Und jedes Mal, nachdem sie weggegangen war, lag ich auf meiner rechten Seite und betrachtete die Wände in der Hoffnung, Gottes Augen oder irgendwelche anderen zu entdecken.
Als ich mein erstes Gedicht schrieb, sagte meine Mutter: „Psssst!!! Die Wände haben Ohren. Sie sind so groß wie Opas Ohren.“
Später, als die ersten Kampfflugzeuge kamen, lernte ich alle Wände unseres Hauses gut kennen, denn ich musste sie einzeln berühren, um die in ihnen verborgenen Betonpfeiler zu finden, die den besonderen Schutz bei einem möglichen Angriff geben sollten. Doch es war nichts zu finden, weder die Betonpfeiler noch die Ohren noch die Augen.

Fünf Jahre später stand ich allein an der Autobahn, die zur Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Ingelheim führte. Die Autobahn war voller Autos, Lastwagen und Bussen. Trotzdem erschien sie mir verlassen und öd. Nicht einmal eine einzige Wand fand ich, an die ich mich nach meiner langen Reise hätte anlehnen können.
Der Pfad von der Autobahn zur Erstaufnahmeeinrichtung war von riesigen, grauen, fast schwarzen Mauern gesäumt.
Die Mauern waren aus nacktem Beton. Sie waren hoch, sehr hoch. „Ein Traum“, sagte ich, als ob sie gegen die stärksten Kampfflugzeuge gebaut wären. Zur Abwehr der schärfsten Bombersplitter geeignet.

Herzlich
Abdalrahman

P.S.: Hinzugefügt findest Du das Bild aus Ingelheim.

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