Was tue ich eigentlich auf dieser Welt. Konkrete Analyse einer konkreten Situation – Brief 2
Katerina Poladjan an Abdalrahman Alqalaq, 07. März 2020
Lieber Abdalrahman, ich muss nachdenken. Darüber, was Du mir schreibst.
Ohne es mir vorstellen zu können, möchte ich mir vorstellen, wie sehr es Dich zerreißen muss, Dich und die Welt gestern und heute neu befragen zu müssen.
Die Fragen, was bin ich für ein Mensch, was bin ich für ein Mensch gewesen, was für ein Mensch möchte ich sein, sind für mich so etwas wie Hallräume für die Frage, was tue ich eigentlich hier auf dieser Welt. Der Philosoph Louis Althusser (welch unglücklicher Mensch er gewesen sein muss) schreibt von der „konkreten Analyse einer konkreten Situation“. Zurzeit kommt mir das oft in den Sinn, fast so oft wie der Wunsch, meine Katze auf der Brust liegen zu haben, mich dazu verleiten zu lassen und es mir selbst zu gestatten, mich mitten am Tag und ohne jeden Grund auf mein Sofa zu legen und für einen Moment die Augen zu schließen, um der Welt zu entfliehen. Leider habe ich keine Katze. Was ich sagen will: Ich fürchte mich vor den ganz großen Fragen.
Letzte Woche war ich in Schwäbisch Hall und ich habe dort die Johanniterkirche besucht, um mir die „Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“ von Holbein anzusehen. Bestimmt eine Stunde oder mindestens eine halbe habe ich davor gestanden und ich habe, glaube ich, verstanden, warum diese Madonna den Menschen viel bedeutet. Was ich Dir aber schicke, sind zwei andere Bilder.
Katerina