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Was ich nicht sehen kann

Lyrische Begegnungen von Rasha Habbal und Anke Bastrop

 

I.

Sie ist eine Frau, die sich, als sie brennen sollte

mit dem Feuer vereinte.

Es gibt Tage,

an denen sie ihre Haare rot färbt,

den Finger in Asche bohrt, ableckt: Er ist süß.

Eine Frau, die an die Tür geht, ohne zu zögern,

sich zeigt:

in zweifarbigen Socken, im Negligé,

eine Narbe im Nacken,

Zigarette, ein in zwei Teile gebrochenes Kind,

wild, golden.

 

Eine Frau, ein Mann, ein Kind, eine Nymphe,

eine Hure, eine Muse, eine Hexe, eine Göttin,

eine Blutende, eine Fremde, eine Verbündete,

eine Mutter, eine Followerin, eine Leitwölfin,

eine Alchimistin, eine Liebende, eine RICKE,

 

eine Erinnerung

an sich selbst.

 

Eine Frau, die gleichzeitig eine andere Frau ist.

Während Tomatenblütenschatten

ihre Brüste tätowieren,

ritzt sie ich bin meine geöffnete Fessel in die Schale

eines Apfels.

 

Anke Bastrop

Nach Gedichten, Fotos und Social-Media-Posts von Rasha Habbal

 

 

II.

Ich weiß nicht mehr, wie ich heiße. Aber ohnehin hat mich schon lange niemand mehr bei meinem Namen gerufen. Ich glaube, er war „Mädchen“ oder „die da“. Ich bin ein Name, der in Wäldern spielt, eine Freundin des Wolfes.

Rasha Habbal

 

Ich bin, die ich bin.

Kein im Wald spielender Name.

Vier Buchstaben,

mit denen meine junge Mutter mich aufsagte.

Ein Name,

den man nicht verkleinern kann,

weil er bereits die kleinste Form

eines Namens ist:

etwa so, als hätte Jesus’ Großmutter

an der Fleischtheke meiner Kindheit gestanden.

Von vorn und hinten dasselbe Tier

das mit einer Hieroglyphe spielt

und mich nicht meint.

 

Anke Bastrop

 

III.

In einer Frau lebt eine Frau lebt eine Frau lebt eine Frau.

Wir sind eine in einer Sekunde.

Was heute ist,

begann in den ersten Sekunden unseres Lebens.

Unterwegs segnest du meinen Namen.

Ich liebe eine vergangene

eine gegenwärtige und eine zukünftige Monstera.

Stärke, Verzweiflung, Handlungen der Rebellion:

neue, helle Blätter

ohne Mitleid, weil Mitleid uns und Andere verletzt.

Wir sprechen Sprachen der Vögel.

Währenddessen entführt der Orkan, was nicht zu uns gehört.

 

Die Sätze stammen aus Sprachnachrichten, die Rasha Habbal und Anke Bastrop gewechselt haben.

 

 

IV.

رأيت مالك الحزين

يقف على قدم واحدة.

فقلت إنه مثلك

ينتظر شيئا ما

لا أراه أنا.

.

فمك الصغير

ينمو

مطبقاً على صراخ

الأرواح الصغيرة

التي

لحظة ظنت أنها ستطير

ابتَلَعتَها بالخطأ.

.

في فمك الصغير

تشابك الكلام

فصار فخاً.

فمك القفص

ستكسره

القسوة.

.

يا مالكي الحزين

ستحط دائماً على قدمين

لكنك لن تعرف التوازن

إلا

على واحدة.

 

Gleichgewicht

.

Ich sah einen Schmuckreiher.

Er stand auf einem Bein

wie du,

wartete auf etwas,

das ich nicht sehen kann.

.

Dein Mund wächst

mit zusammengekniffenen Lippen.

Aus Versehen

hast du kleine Seelen verschluckt.

Kurz war ihnen, als flögen sie.

.

Je stärker sich in deinem kleinen Mund

die Worte verstrickten,

desto mehr wurde er zur Falle.

.

Diesen Käfig

wird nur die Hartherzigkeit

brechen.

.

Mein Schmuckreiher,

du wirst immer auf zwei Beinen landen,

aber das Gleichgewicht

hältst du

nur auf einem.

 

 Rasha Habbal

Übersetzung aus dem Arabischen: Filip Kaźmierczak

Nachdichtung: Anke Bastrop

 

V.

الشوارع نائمة الآن

وأنت وحدك تطرق

أبوابها.

ستفتح لك حافية

وتنظر

في عينيك

الغائبتين

وتسألك

عن الضباب

العالق تحت أظافرك.

ستخبرها

أنه قميص نوم امرأة

تجوب الليل

بحثاً عن رجل

ضل طريق الشارع.

Jetzt schlafen die Straßen,

nur du nicht.

Nachdem du an ihre Tür geklopft hast,

öffnet sie barfuß,

blickt in deine abwesenden Augen,

fragt:

Was ist das für ein Nebel unter deinen Nägeln?

Das Nachthemd einer Frau.

Sie wandert durch die Nacht

auf der Suche nach Männern,

die durch die Straßen dieser Welt irren.

 

Rasha Habbal

Übersetzung aus dem Arabischen: Filip Kaźmierczak

Nachdichtung: Anke Bastrop

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