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Ankunft in der stillgelegten Stadt

von Tanja Dückers

Galal Alahmadi zog im Januar 2021 mit seiner Frau, der aus Syrien stammenden Dichterin Noor Kanj, und ihrer gemeinsamen Tochter von Düren nach Berlin. Nach schwierigen Jahren in der rheinischen, mental „engen“ Kleinstadt, in der er und seine Familie keinen Anschluss fanden, hatte er sich sehr auf Berlin gefreut. Er kannte die Stadt schon von einigen Besuchen und von einem Stipendienaufenthalt im Literarischen Colloquium Berlin. Alles begann vielversprechend. Eine schöne Wohnung mit Balkon wurde für Galal und seine Familie gefunden, die Tochter, knapp dreijährig, bekam einen Platz in einer nahegelegenen Kita und begann bald, ein wenig Deutsch zu sprechen. Doch dann das: Rund sechs Wochen nach dem Umzug nach Berlin griff die Pandemie auch in Deutschland um sich, die Hauptstadt wurde stillgelegt. Sprachkursangebot, Kita, Lesungen, Treffen mit Kolleg*innen und anderen Leuten wurden vertagt oder fielen ganz aus.

„Wir mussten in die Isolation zurückkehren, aus der wir in Düren geflohen sind“, fasst Galal seine Situation zusammen. Und ergänzt beinahe nihilistisch: „Es ist wahr, dass ich in Berlin lebe, aber nichts deutet darauf hin.“ Denn: „Es reicht nicht aus, dass mein Name in einer Berliner Straße auf die Türklingel geschrieben steht, um mir das Gefühl zu geben, in Berlin zu leben.“

Viele Berliner*innen sind nach mehr als einem Jahr Ausnahmezustand pandemiemüde und freuen sich jetzt über die Lockerungen. Aber Galal ist noch aus einem anderen Grund niedergeschlagen: Für ihn ist der Anblick der vielen Masken ein wenig traumatisch, auch wenn er deren medizinischen Nutzen nicht anzweifelt. Denn die Masken erinnern ihn „irgendwie an den Niqab-Islam“, den er als jemenitischer Saudi vor seiner Ausreise sechsundzwanzig Jahre lang erlebt und oft erlitten hat. Doch nun in der aus seiner – männlichen – Sicht noch schlimmeren Variante, „weil jeder verpflichtet ist“, eine Maske zu benutzen: „Ich bin von dort weggelaufen, um ein normales Leben zu suchen, und jetzt bekomme ich das.“ Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass Galal nun solch eine präzedenzlose Situation hier erlebt hat. Eine Situation, die auch mir – ich lebe seit über fünfzig Jahren in der Stadt – und allen anderen Berliner*innen bis dato unbekannt war.

Galal und ich verständigen uns mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen. Seines hat das arabische Wort für „Maske“ mit „Schnauze“ wiedergegeben. „Jetzt laufen alle Menschen in Berlin mit Schnauze herum!“, heißt es in seiner Mail an mich. Das hat eine ungeahnte Doppelbödigkeit und ist tatsächlich perfekt auf den gemeinen homo berolinensis zugeschnitten. Gar nicht so leicht, wieder mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen zu erklären, was es mit dieser Schnauze und den Berliner*innen auf sich hat. Da hilft oft eher die Praxis als die Theorie. Galal hatte im Sommer 2019 als Stipendiat des Literarischen Colloquiums gern Zeit im Görlitzer Park verbracht. Er mochte den Park sehr, hat dort einfach seine Umgebung beobachtet, viel zugehört und sich Notizen gemacht („Ich möchte Teil vom Görli-Park sein“). Von der freien Atmosphäre, den so unterschiedlichen Leuten, der offenbar geltenden Devise „Leben und leben lassen“, der Schnoddrigkeit, dem Geschnauze und dem Gewurstel dort hatte er oft geschwärmt. So – in etwa – hatte er sich vor dem Umzug sein neues Leben in Berlin vorgestellt.

Dass sein Sprachkurs (nachdem er wochenlang ausfiel) nur in einem wenig befriedigenden Onlineformat stattfindet, macht es für Galal schwerer, sein Deutsch zu verbessern. Noch dramatischer findet er jedoch, dass seiner nun vierjährigen Tochter lange Zeit keine Notbetreuung in der Kita zugestanden wurde, denn sie hätte dringend Austausch und Kontakt zu anderen, vor allem eben auch zu deutschsprachigen Kindern benötigt. Doch von verschiedenen Seiten geführte Gespräche mit der Kitaleitung brachten nichts. So hätte seiner Frau und ihm auch viel Zeit zum Arbeiten, zum Schreiben gefehlt.

Seit geraumer Zeit arbeitet Galal an einem Roman über das Leben der Jemenit*innen in Saudi Arabien. Er selber entstammt einer großen jemenitischen Familie, er hat neun Geschwister. Über die Geschichte und das heutige Leben der Jemenit*innen als (meist arme) Minderheit in Saudi Arabien liegt bisher nicht nur kein Buch auf Deutsch vor, auch auf Arabisch ist solch ein Werk bislang nicht veröffentlicht worden. Die Beziehungen zwischen den Nachbarländern und der jeweilige Umgang mit Minderheiten sind komplex. Seit sechs Jahren führt Saudi Arabien in einer Allianz mit anderen arabischen Staaten zudem Krieg im benachbarten Königreich Jemen. Für die Arbeit an dem Roman, für die Galal eines der begehrten Stipendien der Allianz Kulturstiftung erhielt, wünschte er sich vor allem Ruhe und Zeit – beides nicht so einfach zu finden mit einem kleinen Energiebündel in der Trotzphase zu Hause.

Zudem sind die Nachrichten von Freund*innen und Verwandten aus dem Jemen immer wieder sehr deprimierend. So sagt Galal: „Meine Leute sterben, sie fallen zu Dutzenden und Hunderten in diesem Krieg, sie krepieren an jeder Ecke, in jeder Straße, in jedem Haus.“ Corona hat dort die Situation noch schlimmer gemacht. „Es gibt keine funktionierende Regierung, keine Schulen oder Krankenhäuser“, stattdessen „Cholera, Denguefieber und andere Krankheiten, die mein Land und mein Volk töten.“ Die Blockadesituation im Jemen verschärfe die humanitäre Lage. Aus Saudi Arabien hingegen vernimmt er zu Beginn des Frühjahrs, dass seine gesamte Familie, einschließlich seiner neun Geschwister, zügig geimpft wurde. Zumindest regional kam man in dem Riesenland schnell voran. Auch wenn Galal selten ein gutes Haar an dem Land lässt, aus dem er geflohen ist und in das er „auf gar keinen Fall“ zurück möchte, war er positiv überrascht von diesen Nachrichten, zumal im Frühjahr in Deutschland erst wenige Menschen geimpft waren. In Saudi Arabien hatten sich manche Menschen gewundert, warum die Impfungen in den USA und in Großbritannien viel schneller voranschritten als im Technikland Deutschland, in dem mit Biontech einer der Impfstoffe entwickelt wurde.

Dann erzählt Galal, welche Vorstellungen zuvor in seiner Heimat von Deutschland existiert hätten. Die Saudis bewunderten an sich „alles, was aus Deutschland kommt“, und „alles, was mit der Industrie dieses Landes zu tun hat“, also „Siemens, Elektrotechnik, Chemie, Medikamentenentwicklung“. Daher hätte es dann einige Irritation in Bezug auf das Corona-Krisenmanagement im Frühjahr gegeben.

Aber was ihn selber an Deutschland am meisten faszinierte und warum er nach Berlin kommen wollte, seien andere Dinge gewesen: die Literatur und das Kino. Er hoffe sehr, dass er von der lebendigen Kulturszene Berlins bald wieder mehr mitbekommen wird. Im Moment scheinen sich seine Hoffnungen zu bestätigen.

Berlin, 2021

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