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Text-2

Herkunft to go

von Atefe Asadi

Aus dem Persischen von Sarah Rauchfuß

Und eines Nachts plötzlich,
wurde das Leben reduziert auf einen Koffer
Die aus dem Schlaf gerissenen Hoffnungen habe ich sorgsam gefaltet,
sie neben die zusammengeknüllten Träume gelegt
Noch strömt die Wärme der Abschiedsküsse
mir in der Haut
Und Teile von mir blieben zurück, hinter der Grenze

Am Flughafen dann der Beamte: Woher kommst du?
Aus den Schlagzeilen der Zeitungen, antwortete ich.
Mein Land ist eine Wunde, immerfrisch
Man kratzt daran und es dauert nicht lang
Und das Blut tropft und tropft
in den Nachrichtentext
Unter jedem Wort liegt eine Leiche begraben
auf deren Hals ein Würgemal leuchtet
Mein Land ist eine halbfertige Notiz
die das Gähnen des Sprechers nur kurz unterbricht

Woher ich komme?
Aus dem gemeinsamen Weinen in Taxis
Aus Selbstverbrennungen vor den Toren der Sportstadien
Aus der Sehnsucht nach kollektiver Freude
In meinem Land verkündet die Sonne keinen »Guten Morgen«
Sie ist ein schwarzer Fleck auf der Stirn des Himmels,
beim Eintritt einer neuen Tragödie sagt sie »Herzlich Willkommen«

Woher komme ich?
Aus Nächten, in denen man mit schlechten Nachrichten zu Bett geht
und morgens erwacht in den Zeilen noch schlechterer
Mein Land ist eine Schlange bis zur Hinrichtungsstätte
Und wer am Leben blieb, war bloß noch nicht an der Reihe

Neue Gedichte muss ich schreiben!
Ein paar Tropfen Helligkeit über meinen Worten versprühen
Ich muss mein Land aus dem Koffer ziehen,
allen Aromen, Umarmungen, Klängen und Menschen
einen freien, besonderen Ort zuweisen
Muss mein verborgenes Iran im Haus arrangieren

Wie in einem toten Spross, eingepflanzt ins frische Beet
Ist in mir das Gefühl der Zugehörigkeit abgestorben
Wie ein Kind, verloren in der Menge
Suchend nach der Mutterhand
Starre ich die Schnellstraßen an
ungeschützt
durchgefroren
hornhautlos, pupillenlos
Augen, die sich unter dem Himmel des Hauses nicht öffnen
Was sind sie, außer zwei tränenvolle Kugeln
Eine Handvoll Nerven in Aufruhr
Eintausend halbfertige Abschiede
sind mir auf den Lippen verblieben
Und das Leben ist eine gewaltige Enttäuschung
gepresst in einen Koffer
der von einem Himmel unter den nächsten
weiter und weiter getragen wird

 

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Dieser Text entstand im Rahmen der Weiter Schreiben Intervention "Die Utopie schaut nicht in deine Augen" am 5. Mai in der Akademie der Künste in Berlin.

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