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Literarischer Kommentar zu Barbara Krugers Zitat „Is that all there is?“

Von Rabab Haidar

 

Text auf Arabisch (Original) hören:

Text auf Deutsch hören:

Welche Farbe hat der Beton?
Er trägt die Farbe der Tafelkreide,
die wir aus unserer eintönigen Schule stahlen
oder beim Krämer für ein paar Groschen kauften.
Sein Schuldbuch war dicker als das des Schulaufsehers.
Wir malten Himmel und Hölle
auf dem Gehweg und den Straßen zwischen den verwaisten Autos,
auf den Dächern der Gebäude, von DDR-Architekten entworfen,
auf den Innenhöfen der Wohnprojekte.
Die für Kinder zum Spielen gedacht waren, so die sowjetischen Experten,
doch ohne Spielzeug taugten sie nur für Himmel und Hölle und Staub.

 

Wir malten auch Häuser mit Ziegeldächern, ganz anders als unsere Häuser.
Wir malten sie von Gemälden ab, die wir nicht kannten,
wie die Kunstlehrerinnen es von uns verlangten.
Wir malten eine rote Kirsche, einen grünen Apfel, eine gelbe Banane.
Doch aus irgendeinem Grund konnten wir keine Banane bekommen,
konnten auch die sowjetischen Kinder keine Banane bekommen,
konnten auch die Kinder der DDR keine Banane bekommen.

 

Immer, wenn der Regen die Kreide fortwusch, oder die Füße unachtsamer Passanten,
stahlen wir wieder Kreide, um unsere Stadt neu zu bemalen, die sich von den Städten der Erwachsenen unterschied.
Der Regen kam und ging und diejenigen, die nach uns kamen,
erbten bunte Kreidestädte
und bemalten den Beton weiter mit den Farben der Ziegel, Kirschen, Bananen und Äpfel.

 

„Und wenn das nun alles war,
dann lasst uns zusammen tanzen
und unsere Gläser erheben …“, heißt es in einem Lied.
Zum Wohl!

 

Weinten die Mütter denn ständig?
Anfangs nicht.
Die Sonne brannte vom Himmel nieder,
die kleinsten Dinge warfen lange Schatten,
sie schienen riesig, wie die Berge.
Die Mütter waren wütend auf die Männer und über unsere Noten.
„Das Zeugnis allein wird euch schützen“, sagten sie den Mädchen
und sorgten sich wegen Reis-, Butter- und Gaspreisen.

 

Die Mütter weinten, wenn die Toten unserer Kriege erwachten
und zwischen den kümmerlichen Bäumen standen, die die Stadtverwaltung nicht goss.
Wegen mangelnder Finanzierung und ein wenig Korruption,
vor dem Krieg und nach dem Krieg,
egal, wer gerade regierte.
Die Toten standen nur da und schauten uns zu.
Sie erinnerten sich, dass der Beton die Farbe der Schulkreide trug.
Das Weinen der Mütter beunruhigte sie,
das Stehen machte sie müde.
Warum gießt denn keiner die Bäume, damit sich unsere Toten auf ihren Ästen ausruhen können?

 

Und die Mädchen?

Wir hüpften
von einer Sehnsucht zur nächsten, zwischen Freunden und Freundinnen,
zwischen quadratischen Gebäuden, zwischen heimlichen, schnellen Küssen im Türeingang.
Die Nachbarn und Nachbarinnen sahen zu.
Ihr Morgen gedieh mit dem Geruch nach Kaffee und unseren Neuigkeiten,
während wir Gedichte lasen, Lieder hörten und fast an der Liebe starben.

 

An der Liebe starben wir nicht,
wir wurden älter und bekamen unsere Zeugnisse, unsere einzigen Schutzschilde, wie die Mütter sagten – wir glaubten ihnen nicht.

 

Und die Straßen? Jene, auf denen die Kinder ihre Städte malten?
Von Träumern gebaut, von Tyrannen versperrt.

 

Und die Bars und Cafés?
Gekritzelte Erinnerungen unter dem Anstrich, auf den der neue Besitzer bestand.
Nur der Kellner erinnerte sich an uns,
ein Soldat des Geheimdienstes.
Er betrog uns mit der Rechnung, wenn wir zu viel tranken,
und wir verziehen ihm, wenn wir erwachten,
er zahlte das Taxi und gab dem Fahrer die Adresse –
unsere Adresse, die wir vergaßen und der Kellner behielt.
Welch großmütiger Mann.
Man sagt, er leide nun an Alzheimer …

 

Ist das wirklich so passiert?
Natürlich, ja, vielleicht, nein!
Die Erinnerung trügt wie die Kunst des Schlangenbeschwörers!

 

Und die Nostalgie?
Ist wie ein Fluss, die Illusionen rauschen und tosen davon.

 

Die Wahrheit?
Ganz sicher? Kennt sie niemand.
Vielleicht kennt sie Gott. Ein angenehmes Vielleicht!
Und die Leute?
„Die Leute schlafen und wachen erst auf, wenn sie sterben.“

Das war alles.
Zum Wohl!

Aus dem Arabischen von Sonja Jacksch

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