Maliha Naji (Pseudonym) und Dilek Güngör schreiben sich Briefe zwischen Kabul und Berlin.

Dilek Güngör über den Briefwechsel mit Maliha Naji

 

Zwei Briefe von mir an Maliha, zwei Briefe von Maliha an mich. So war es abgemacht, und als ich meinen zweiten Brief schrieb, war es schon mein letzter. Es gab einen ersten, gleich darauf diesen letzten, wir haben uns gesagt, was man sich in zwei Briefen sagen kann. Das ist nicht viel, wenn man sich nicht kennt, es ist selbst dann nicht viel, wenn man sich kennt, immer ist es schon vorbei. Wie oft stand ich mit meiner Mutter auf dem Bahnsteig, die Durchsage für die Einfahrt meines Zuges war gerade durch die Lautsprecher geschallt. „Wir haben gar nicht richtig Zeit gehabt.“ Das sagt sie jedes Mal, ob ich nun zwei Tage bei ihr war, eine Woche oder die ganzen Ferien. Nie reicht es, nie ist es genug. Wir drücken uns. „Beim nächsten Mal, Mama.“

Maliha habe ich nie gesehen, aber ihre Stimme am Handy gehört, ein paar Sätze nur, sie war neugierig und nervös und freute sich, ich freute mich, war neugierig und nervös. Was sollte ich ihr schreiben, was könnte sie interessieren? Was würde sie erzählen wollen? Mein journalistischer Reflex drängte und rief: Wie kannst du nicht wissen, was du ihr schreiben willst? Afghanistan, Deutschland, die Situation der Frauen – es ist doch klar, worum es gehen muss. Ja, sagte ich zum Reflex, aber ich will doch sie kennenlernen, sie, Maliha, deren wahrer Name ein anderer ist, sie, nicht die Frauen und nicht die Situation. Ich wollte wissen, wer sie ist, etwas von ihr erfahren, vor allem keine Zeit vergeuden mit Kennenlernen, wir würden einander so schreiben, als kennten wir uns schon.

Ich habe zuerst von mir geschrieben, was als unhöflich gilt. Aber wenn ich von mir sprach, sprach sie vielleicht auch von sich. Ich habe von den kleinen Dingen geschrieben: was ich mag, was mir Freude macht, worauf ich Lust habe, was mir schmeckt und was mir so in den Sinn kommt, wenn ich die Treppen hinuntergehe, was ich als Kind mochte und was ich an meinen Haaren nicht leiden kann. Komm herein in mein Leben, Maliha, und sieh dich um, das wünschte ich mir, das sollte sie aus meinem Brief herauslesen. Und sie kam herein und setzte sich und lud mich ein zu sich, erzählte mir, was ihr ihre Schülerinnen geschenkt hatten, wie lang ihr Haar ist und wo ihr Bett steht, von ihrer Handschrift und dem gelben Licht ihrer Glühlampe. Wir sahen uns um in unseren Leben und ich erkannte das Bett und das Licht und die Treppenstufen und das dunkle Haar. Sich im anderen wiederzuerkennen, das verbindet, macht uns einander weniger fremd.

Wir haben einander kennengelernt, unsere Wege haben sich kurz getroffen, wir haben uns auf dem Bahnsteig auf die Schnelle erzählt, was noch zu sagen war. Dann schepperten die Lautsprecher, wir drückten uns fest und stiegen jede in ihren Zug. Ich wünsche Dir alles Gute. Bis zum nächsten Mal, Maliha.