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I do it my way

Davina Cordua
Foto: Valérie Leray / Das Camp Rivesaltes war von 1941 an Internierungslager für Roma/Sinti wie auch für Juden, 1985–2007 Abschiebegefängnis und ist heute Paintball Feld. Fotogafie aus der Serie Places With no Name (Ausschnitt, 2008).

Man sah mir meine Fremdartigkeit an. Selbst im Winter, wenn die Hautfarbe der anderen Kinder zu einem blassen Rosa wurde, verlor meine Haut ihren sonnengebräunten Teint nicht. Als ich in die Schule kam, nannten sie mich Zigeunerin. In meiner Sprache, dem Romanes, ist es ein Schimpfwort, es bedeutet "ziehende Gauner". Mein Vater ist Sinto, meine Mutter Deutsche. In der Sprache der Sinti sind alle, die nicht zu ihrem Volk gehören, "Gadsche": Fremde. Mein Vater sagte damals oft zu mir und meinen jüngeren Brüdern: "Ihr müsst besser sein als die anderen, weil ihr nirgendwo hingehört."

Als ich in die dritte Klasse kam, rief ein älterer Schüler in der Pause zu mir herüber: "Euch haben sie wohl vergessen zu vergasen." Der Satz verwirrte mich. Der Hass, der darin lag, bedrückte mich sehr, wusste ich doch schon damals genau, wovon der Junge sprach. Mein Großvater hatte mir von der Zeit erzählt, in der in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten der Genozid an meinem Volk verübt wurde. Er hatte mir von den medizinischen Experimenten erzählt, den Schlägen der Wachmannschaften, dem nie aufhören wollenden Hunger und dem Terror in den Lagern. Er hatte mir erzählt, dass das Leben meines Volkes für die selbst ernannten "Herrenmenschen" ohne jeden Wert gewesen war. Er hatte mit den Tränen gerungen, als er mir von den Selektionen berichtet hatte, in der die kleinen Kinder, die Alten und die Schwachen aussortiert worden waren, um in die Gaskammern geschickt zu werden. Ich wollte mir all diese Grausamkeiten nicht vorstellen. Noch unvorstellbarer war es allerdings, dass es nach all dem Leid heute noch Kinder gab, die so etwas sagen konnten, wie der Junge es getan hatte.

Am nächsten Tag nahm ich all meinen Mut zusammen und ging zum Rektor, der den Jungen und mich sofort ins Sekretariat rief und dem Jungen einen Vortrag darüber hielt, warum er derartige diskriminierende Äußerungen ab jetzt zu unterlassen hatte. Er forderte ihn auf, sich bei mir zu entschuldigen und erteilte ihm einen Verweis.

Wenn wir uns danach begegneten, war deutlich zu erkennen, wie geknickt der Junge war und wie unbehaglich ich mich fühlte. Doch er beleidigte mich nie wieder. Nach einer Weile fing er sogar an, mich zu grüßen, und auch ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, wenn ich ihn auf einem der Gänge traf.

Ein anderer Lehrer allerdings, ein großer, Respekt einflößender Mann, führte mich fast täglich vor der gesamten Klasse vor. Vielleicht brachten ihn meine Verträumtheit und Langsamkeit auf die Palme, vielleicht ging es auch um etwas anderes, aber was auch immer es war: Dieses Vorgeführtwerden schüchterte mich ein und machte mich wütend.
Das Leben unter Deutschen war also nicht gerade leicht für mich. Ich musste ständig auf der Hut sein. Doch noch mehr als die Verachtung, die mir in der Schule entgegenschlug, verletzte mich die Tatsache, dass es auch in meiner Sinti-Verwandtschaft Menschen gab, die mich abwerteten, weil meine Mutter eine Deutsche war.

Ein älterer Onkel, der das Konzentrationslager überlebt hatte, schikanierte mich deswegen und wies mich ständig darauf hin, dass ich eine halbe Gadsche sei. Ob ich überhaupt Romanes könne, fragte er mich, meistens wenn kein Erwachsener in der Nähe war, und was denn Nase, Mund und Augen heiße. Er genoss seine Schikanen mit einer fast sadistischen Freude. Als ich ihm einmal die Antwort auf eine seiner Fragen verweigerte, schimpfte er, in meinen Adern würde kein echtes Sintiblut fließen. Ich reagierte heftig: "In meinem kleinen Finger ist mehr davon als in deinem ganzen Körper!" Für diese bodenlose Frechheit drohte mir der Onkel Schläge an.

Als ich meinem Vater erzählte, was vorgefallen war, stellte er den Onkel zur Rede und baute sich vor ihm auf: "Wenn du meine Tochter beleidigst, beleidigst du mich. Sie hat mein Blut und das ist das Einzige, was zählt."

Je älter ich wurde, desto besser verstand ich die Worte meines Vaters, dass wir besser als die anderen sein müssen, weil wir nirgendwo hingehörten. Ich war lange hin- und hergerissen zwischen der väterlichen und der mütterlichen Seite, den Menschen, die mich nahmen, wie ich war, und jenen, die einen Unterschied machten. Ich wusste nicht, wo ich hingehörte und hatte das Gefühl, mich in beiden Welten beweisen zu müssen.

Heute fühle ich mich als Sintiza, kann aber mit einigen Traditionen schlicht nichts anfangen. Mein Volk hält sich stark an alte Sitten und Gebräuche, den Mädchen und Frauen sind feste Regeln vorgegeben. Ab einem gewissen Alter sollten sie Röcke tragen und ihre Haare lang. Sie sind meistens familiär und häuslich gebunden. Sie sollten ihre Individualität nicht so stark ausleben, das Sagen hat der Mann. Das hat für die meisten nichts mit religiösen Vorschriften oder der Unterdrückung der Frau zu tun, es ist vielmehr Ausdruck des Respekts gegenüber den älteren Sindhizi.

Ich wurde nicht so konservativ erzogen. Ich wollte mich nicht hauptsächlich um den Haushalt kümmern, nicht früh heiraten und eine Familie gründen. Und ich trug auch Hosen und meine Haare kurz und ständig in neuen ausgefallenen Schnitten. Ich war und bin anders als, es beide Seiten – die Gadsche und Sinti – erwarten. Dass ich meine Individualität so stark lebe, löst in meiner Umgebung alles Mögliche aus:

Heute bin ich Mutter von vier Kindern. Ich erziehe sie so, dass sie den Familienzusammenhalt schätzen und sich gleichzeitig frei zu der Person entwickeln können, die in ihnen steckt. Meine Kinder müssen nicht besser sein als die anderen und wissen, wo sie hingehören. Zum Glück hat sich doch einiges geändert.

Der Text wurde zuerst in der Kolumne 10nach8 auf ZEIT ONLINE  veröffentlicht.

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