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Farben der Stadt

von Tanja Dückers

Galal und ich sind anlässlich der Veröffentlichung der Anthologie Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt zu einem Dreh mit dem WDR eingeladen. Das ist eine tolle Möglichkeit für uns, das Projekt „Weiter Schreiben“ und das Buch einem breiteren Publikum bekannt zu machen.

Es gibt verschiedene Drehorte in Langenbroich und Düren, einer ist das Café Angie’s Mocca, das Galal und Noor vorgeschlagen haben. Es ist ihr Lieblingscafé in ihrer derzeitigen deutschen Heimat. Ich verstehe gleich, warum. Das Angie’s Mocca ist wirklich schön und gemütlich, aber nicht bieder – es hat keinen sterilen Kaufhauscharme und ist auch kein Teenieschuppen mit Lollipopflair. Der Wirt, ein großer breiter Kerl mit Tätowierungen am Hals, ist sehr freundlich und interessiert sich für „Weiter Schreiben“. Und jetzt schenkt er seinen wie man mir sagt hervorragenden Kaffee ein. Galal beginnt – auf Deutsch – eine längere Ausführung zum Thema Kaffee. Ich bin eher eine Kakao- als eine Kaffeeliebhaberin, höre aber gebannt zu. Hier kennt sich offenbar jemand wirklich aus. Ich erfahre nun von Galal, dass er, aus dem Jemen stammend und in Saudi Arabien aufgewachsen, eigentlich aus dem „Land des Kaffees“ kommt (vor rund hundert Jahren waren der Jemen und Saudi-Arabien noch keine jeweils eigenständigen Nationen). Man trinkt, erfahre ich, Kaffee den ganzen Tag lang, in verschiedenen Stärken, mit verschiedenen Bohnen, den letzten Kaffee am Tag als Schlummertrunk. Ich hingegen kenne noch das Diktum meiner westfälischen Großmutter „Nach drei Uhr kein Kaffee – das tut dem Schlaf empfindlich weh!“

Davon kann in den Ländern, in denen man im Allgemeinen eher später ins Bett geht, wohl nicht die Rede sein. Nein, nein, winkt Galal ab, Kaffee kann man auch in der Nacht trinken, immer. Aber gut sollte er sein.

Den von mir nun bestellten (es war schon nach 15 Uhr …) entkoffeinierten Kaffee betrachtet er nun ein wenig argwöhnisch. Das nächste Mal in Düren werde ich früher im Angie’s Mocca sein.

Nun sollen Galal und ich uns auf den Platz vor dem Café begeben. Galal soll so tun, als ob er mir „sein“ Düren zeigt. Ich schaue mich um. Hier eine Sparkasse, da ein Tchibo, gegenüber ein Kinderklamottenladen. In der Ferne die noch ausgeschaltete Beleuchtung des mäßig spektakulär aussehenden Weihnachtsmarkts. Zumindest in Sichtweite gibt es kaum eindrucksvolle Sehenswürdigkeiten. Immerhin, das rotorangefarbene Licht der Dämmerung ist sehr schön und spiegelt sich in manchen Schaufensterscheiben. „Wie gefällt es dir in Düren?“, frage ich nun. Galal, der trotz seiner Jugend – er ist einunddreißig Jahre alt – zu großer Bedächtigkeit neigt, wiegt langsam den Kopf. Ich warte, was er da ausbrütet. Am Ende staune ich immer – bei dem, was er schreibt, ebenso wie bei dem, was er sagt: „Offenes Gefängnis“ kommt nun von ihm. Auf Deutsch. Ich versuche näher herauszufinden, was ihn besonders an Düren stört. So ganz einfach ist das nicht. Ich stelle Mutmaßungen an, dass ihm Düren zu klein, zu provinziell, zu langweilig sei. Aber er wehrt ab. Nein, nein.

Würde er lieber in Berlin leben? Ja, schon. Aber noch lieber in Köln. Da gefällt es ihm – und auch Noor – am besten. Eine gute Größe, eine gute Stadt. Eine lebendige arabischsprachige Community. Das bekomme ich so irgendwie zusammen.

Würden sie sich in Düren oft einsam fühlen, Freunde vermissen? Galal überlegt wieder. Auf der einen Seite würden sie Freunde vermissen, auf der anderen Seite sei er aber auch gern allein, verstehe ich. Aber, doch: Es könnten mehr Freunde sein. Vor allem für Noor und Eve.

Ich erinnere mich nun an einen Leseabend in der Kölner Zentralbibliothek, bei dem ein paar sensationshungrige Zuhörer Galal fragten, was er denn alles so im Jemen und in Saudi-Arabien erlebt habe. Es würde sich doch so einiger Schrecken in seinen Gedichten spiegeln. Galal hatte wieder länger überlegt und dann geantwortet (wir hatten Simultandolmetscher bei der Veranstaltung), dass er all den Schrecken in seinem Leben in seiner Lyrik „parke“, „verstaue“, aber an sich und mit sich selber „ein sehr glücklicher Mensch“ sei.

Aber es gibt nicht nur ihn. Da ist Noor, seine Frau, ebenfalls Schriftstellerin, aus Syrien stammend, die gern in Gesellschaft ist. Und da ist Eve, ein fast zweijähriges sehr aktives, lebendiges Mädchen. Sie nimmt ihre Eltern ziemlich in Beschlag, wie das Kinder in dem Alter so tun. Ich frage, ob es denn schon Aussicht für sie auf einen Kitaplatz gäbe? Mir ist klar, dass Eve andere Kinder braucht, ihren sehr bemühten, liebevollen und zugewandten Eltern mal Zeit zum Luftholen geben muss. Ja, sie haben einen Platz zugesagt bekommen, aber der ist erst in sieben Monaten frei für Eve. Wahrscheinlich, denke ich mir, wenn ein Kind im nächsten Sommer eingeschult wurde. Ich versuche Galal zu erklären, dass dies sicher keine Schikane ist und man überall in Deutschland meist länger auf einen Platz warten muss.

Worauf Galal sich freut, wie er mir nun sagt, während wir unsere Kreise auf dem Platz für Angie’s Mocca drehen: Eve wird in Düren dreisprachig aufwachsen: mit Englisch, Arabisch und Deutsch. Noor spricht meist englisch mit ihr, er selber arabisch und in der Kita wird deutsch gesprochen. Er ist sichtlich stolz auf seine Tochter, für die das Leben hier einfacher sein wird.

Nach unserem Düren-Sightseeing sollen wir zurück ins Café kommen. Mich lockt nun die Kürbissuppe dort, Galal, natürlich, der Kaffee.

Wir sollen uns nun, über die Anthologie gebeugt, über das Buch austauschen. Wenn zwei Menschen sich gut verstehen, dann gehen die Gedanken und Gespräche aber in alle möglichen Richtungen. Macht nichts, denn jetzt kommt es nur auf die richtigen Bilder für den Kameramann an und nicht auf unsere Worte. Wir unterhalten uns bald wieder über Saudi-Arabien. Ich bin einmal vor zehn Jahren dort gewesen. Ich hatte das Galal und Noor schon mal vor längerer Zeit erzählt, nun fragt er mich berechtigterweise: „Wie bist du damals dahin gekommen? Es ist sehr schwer, ein Visum zu bekommen.“ Ich berichte ihm von meiner Reise mit Frank-Walter Steinmeier, dem ehemaligen Außenminister, der mich mal als Teil seiner Kulturdelegation auf eine Golfstaatenreise mitgenommen hatte. Galal fragt mich nach meinen Eindrücken und wie ich es fand, eine Abaya tragen zu müssen. Sie wurde mir schon gleich beim Kofferabholen auf dem Flughafen in Riad übergestülpt. Man hatte mir das vorher mitgeteilt, aber bei sechsunddreißig Grad im Schatten hielt sich meine Begeisterung, ein dichtes, warmes, schwarzes, bodenlanges Gewand anzuziehen, in Grenzen. Aber ich musste nur insgesamt fünf Tage damit herumlaufen (ob man etwas unter einer Abaya anhat oder was es ist, kann ja niemand sehen). Galal erzählt mir nun, dass er zwölf Jahre lang in der Schule jeden Tag ein weißes Gewand für Männer mit korrekter Kopfbedeckung tragen musste. „Zwölf Jahre lang! Jeden Tag!“ Aus der Art, wie er das sagt, wird deutlich, dass er es als große Einschränkung empfunden hat. Bisher hatte sich mein Blick auf die obligate Kleiderordnung stets nur auf die für Frauen und Mädchen gerichtet, was für ein Versäumnis. „Die Jungen in Weiß, die Mädchen in Schwarz.“ Er schüttelt sich bei der Erinnerung. Eine andere Art von Gefängnis als das stille, viel zu menschenleere Düren.

Wir kommen auf die strikte Trennung zwischen den Geschlechtern zu sprechen. Ich berichte Galal, dass ich in Riad recht erstaunt über die – für Männer und für Frauen – getrennten McDonalds-Kassengewesen bin. Er gibt zurück: „In den Moscheen – auch alles getrennt – Wand.“ Wegen der lauten Kaffeemaschine, die ständig im Einsatz ist, habe ich Mühe, ihn zu verstehen. Habe ich ihn richtig verstanden? Wände? Oder Wende?

Galal versucht nun einfühlsam, und das ist der schönste Moment an diesem Tag in Düren, mir, seiner Berliner Tandempartnerin und Kollegin, anhand eines Beispiels aus meinem Erfahrungshorizont zu erklären, was er meint: „In Moscheen … gibt es für Männer und Frauen Wände – Mauern! Mauern. Wie die Berliner Mauer!“

Ich muss lachen. Der Groschen – damals gab es noch keine Cents – ist endlich gefallen.

Dann reden wir weiter über Riad, darüber, wie trocken die Stadt ist, in der es fast nie regnet, reden über die nahe Wüste, den rötlichen Sand, der in die Stadt weht, die Farben in der Nacht.

Wir blinzeln nach draußen. Es dämmert, wird dunkel. Wo sind wir nochmal?

„Könnt ihr jetzt mal so tun, als ob ihr gerade zur Tür hinausgeht? Das machen wir jetzt ein paarmal. Jacken nicht vergessen! Tanja, deine Brille!“ Unser Dreh geht weiter. In Düren-City.


Düren, Köln, Berlin, im November 2018

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