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Ein Monster, das immer fortfahren wird

von Tanja Dückers

Galal Alahmadi bin ich zum ersten Mal im letzten Sommer im Berliner Haus für Poesie begegnet. Nun konnten wir unseren Austausch vertiefen. Seine Gedichte haben mir schon damals großen Eindruck gemacht. Galal ist erst 29 Jahre alt, aber seine Poesie wirkt auf mich unglaublich sicher.

Zunächst sprechen wir über sein Verhältnis zu Deutschland und zur deutschen Sprache. Bis zum September 2016 war er Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung in Langenbroich, seine Freundin, die Dichterin Noor Kanj aus Syrien, hat ihn begleitet. Seit letztem Herbst läuft sein Asylverfahren. Jetzt sind Noor und Galal zu dritt: Vor wenigen Wochen haben sie eine Tochter bekommen. Galal erzählt, dass er gar nicht so überrascht über das Leben in Deutschland gewesen sei. Er hatte immer viele Filme gesehen und sich viel über Europa informiert. Galal fand die Deutschen jedoch freundlicher als erwartet. „They smile!“, sagt er – und so wie er es betont, muss es sich doch dabei um ein besonderes Ereignis handeln.

Ein Widerspruch ist ihm aufgefallen: Die Gesetzgebung in Deutschland ist aus seiner Sicht sehr wenig strikt, sehr menschenfreundlich. Aber die Menschen selbst halten so viele Regeln ein, auch dort, wo es nicht nötig zu sein scheint. So registrierte Galal erstaunt, dass auch nachts um 23 Uhr an einer Ampel, wenn kein Auto vorüberfährt, die Leute brav bei Rot stehen bleiben.

Ich möchte nun von ihm wissen, wie er die seltsame neue Sprache findet und ob er schon Lieblingsworte oder -begriffe im Deutschen hat. Galal berichtet, dass er die deutsche Sprache anfänglich – im Vergleich zum Arabischen und Englischen – als „harsh“ und „annoying“ empfunden hat. Ich musste grinsen: Das Arabische klingt in meinen Ohren immer recht hart und schroff. Zum Meinungswechsel führte bei Galal das Kennenlernen von deutschen Kinderliedern. Galal überlegt einen Moment. Irgendetwas mit einem Bäcker …? War es „Backe, backe, Kuchen?“ Ja, das war’s! Das hat ihm die Sprache irgendwie sympathischer gemacht. Vielleicht lerne ich durch ihn ja mal ein arabisches Kinderlied kennen.

Einen Lieblingsausdruck im Deutschen hat Galal auch schon: „Warum? Darum!“ Ich muss lachen. Das kommt mir origineller vor als meine eher romantische Vorliebe für Wörter wie „lichterloh“, „schnabulieren“ oder „liebäugeln“. „Warum? Darum!“ hat etwas Kafkaeskes und erfasst „den“ deutschen Charakter mit seiner gelegentlich auftretenden Kurzschlusslogik, gepaart mit abweisender Grummeligkeit, sehr gut.

Wir unterhalten uns über die Literaturszene in seiner Heimat. Nur eine Heimat hat Galal nicht. Er hat in vier verschiedenen Ländern gelebt, im Jemen, in Saudi Arabien, Jordanien und im Libanon. Wirklich zugehörig, zu Hause gefühlt habe er sich daher nirgendwo. „I was in exile all my life.“ Daher habe er keine abgrenzenden Identitätsvorstellungen, auch materiell nie so viel wie vielleicht andere zurückgelassen. Er berichtet nun von Instrumentalisierungsstrategien. Die Jordanier machten ihn zum Jordanier, die Libanesen zu einem der ihren. Vor allem jedoch wurde er als Iraki oder Syrer bezeichnet. In diesen Ländern gibt es jeweils große Literaturszenen. Im Jemen läuft in dieser Hinsicht nicht viel. Aber die Vereinnahmungsgesten irritieren ihn auch. Als er sich klar dazu bekennt, aus dem Jemen zu stammen, lässt das Interesse an ihm nach: Die Iraker und Syrer sind frustriert darüber, dass er nicht so tut, als ob er jeweils zu ihnen gehöre. Im arabischsprachigen Raum ist Galal schon recht bekannt, man schmückt sich gern mit ihm – und man denkt national: Man liest eher den Landsmann als den Kollegen aus dem Jemen. Das ist für mich interessant, ich hatte aufgrund der gemeinsamen Sprache eher „panarabische“ Vorstellungen, was die Literaturszene angeht. Aber, auch das betont Galal, einfach ist es für Schriftsteller in keinem der Länder, denn überall ist die jeweilige „political situation“ entscheidend dafür, was publiziert wird. Mit vielen befreundeten Kollegen ist er nach wie vor, vor allem über Facebook, in Kontakt, erfährt von der Situation vor Ort.

Ein paar Kollegen aus dem arabischsprachigen Raum hat er in Deutschland gefunden, zum Glück auch in der Umgebung von Köln – er lebt mit seiner Familie jetzt in Düren. Aber die meisten von ihnen sind, so Galal, eher private Freunde als Kollegen, mit denen er intellektuellen Austausch pflegt. Wichtig war für ihn die Einladung vom Berliner Haus für Poesie zu einem Übersetzerworkshop mit anschließenden Lesungen und das Zusammentreffen dort mit dem schon seit über zwanzig Jahren in Berlin lebenden syrischen Schriftsteller und Kulturveranstalter Douraid Rahal sowie mit der libanesischen Übersetzerin Leila Chammaa. In der vom Verlag Secession herausgegebenen Anthologie „Weg sein – hier sein“ ist er mit mehreren Gedichten vertreten.

Über sein Gedicht „Vom Krieg“ sagt Galal, dass es ihm wichtig war, die dort erwähnte Gewalt nicht geografisch erkennbar zu lokalisieren. Er möchte in einem allgemeineren Sinne über Gewalt sprechen. Auch vermeide er einen zu direkten Stil, denn Literatur habe für ihn mit dem Spielen mit Geheimnissen zu tun, sei kein Zeitungsartikel. Ein „zu direkter“ Text sei nicht langlebig. Nur das Rätselhafte, das, was weiter weist, könne überdauern. Der Schock jetzt über das, was in Syrien, im Nahen Osten passiert, sei „sehr groß“ und „wir werden später darüber schreiben“. Jetzt wäre man noch zu sehr im Geschehen drin und würde nicht gut darüber schreiben können.

Auch betont er, dass er inhaltlich sehr unterschiedliche Gedichte verfasst habe, Politik sei wenn, dann eher unterschwellig enthalten. „Basic human experiences“ stehen für ihn im Vordergrund. Titel seiner Gedichte seien zum Beispiel „Ich kann mit niemandem weinen“ oder „Die Stufen des Hauses steigen allein herab“.

Die Kugel, die alles durchdringt, wird im ersten Teil des Gedichts leitmotivisch verwendet. Auf die Frage nach der hier expliziten Gewalt erklärt Galal, dass er die derzeitige kriegerische Auseinandersetzung eher als Resultat betrachtet, die Ursache hingegen sei in der vorherrschenden „Moral und Ethik“ zu finden. Die Kugel dringt viele Male ein, aber tötet nicht, sie beschreibt in dem Gedicht eher ein schleichendes Gift von Verfall und Betrug, das sich letztendlich zum Krieg summiert.

Die bemerkenswerte Zeile „Bereitschaft der Beute, sich zu opfern“ erklärt Galal mit dem Hinweis auf das sogenannte Stockholm-Syndrom: auf die Neigung der Opfer, sich mit den Tätern zu alliieren und zu identifizieren.

Schließlich der Scharfschütze, der nach dem Morden ungerührt zur Familie zurückkehrt, vielleicht sogar gute Gedichte schreibt. Aber, so Galal, er habe in Bezug auf diesen Mann den Ausdruck „kopulieren“ verwendet, um ihn letztendlich doch als Biest, als Monster zu beschreiben. Ein Monster, das immer fortfahren wird.

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